Berlin, Deutschland (MaDeRe). Die Lanzo-Täler in den südlichen Grajischen Alpen sind eine hochalpine Region nordwestlich von Turin mit wilder Natur, alten Bergdörfern und vergletscherten Gipfeln. Obwohl nahe der Metropole Turin gelegen, sind sie touristisch noch wenig erschlossen. Früher ein beliebtes Ziel der Turiner Oberschicht, zieht es heute vor allem Mountainbike-Fahrer und Wanderer an, auch im Winter. Wegen des rückläufigen Schneefalls und der steigenden Durchschnittstemperaturen in den Alpen wurde das Projekt „Beyond Snow“ ins Leben gerufen, um nachhaltige und neue Ideen für den Tourismus im Winter zu entwickeln.

Die Gemeinde Ala di Stura. © Foto/ BU: Heidrun Lange, Ort und Datum der Aufnahme: Ala di Stura, 8.4.2024

In den frühen Morgenstunden umhüllt der Nebel das Tal Val di Ale. Doch sobald die ersten Sonnenstrahlen ihn sanft berühren und er sich langsam auflöst, spürt man eine erfrischende Kühle in dem Tal, das im Westen an Frankreich grenzt. Seit Jahrhunderten läuten die Kirchenglocken zuverlässig den Beginn eines neuen Tages für die Bewohner ein. Die Steinhäuser in der Gemeinde Ala di Stura reihen sich um den Dorfplatz, wie in einem lebendigen Freilichtmuseum. Sonnenuhren an den Hauswänden zeigen die Zeit an und kunstvolle Fresken in kleinen Kapellen lassen die Geschichte lebendig werden. Am Rande des Dorfes erhebt sich majestätisch ein Jugendstilhotel, das trotz sorgfältiger Restaurierung den Eindruck erweckt, als sei es direkt den 1920er Jahren entsprungen. Mit seinen antiken Möbeln und funkelnden Kronleuchtern versetzt es seine Besucher in die Ära eines alten Schwarz-Weiß-Films. Die Gemälde im prunkvollen Foyer zeigen elegante Gäste vergangener Epochen, die mit steifen Hüten und langen Kleidern posieren. Heutzutage strömen Gäste aus aller Welt herbei, um dieses einzigartige Ambiente zu erleben.

Im Laden von Cinzia und Renata gibt es den Käse der Saanenziegen. © Foto/ BU: Heidrun Lange, Ort und Datum der Aufnahme: 7.4.2024

Pfadwege schlängeln sich durch den dichten Wald, hin und wieder unterbrochen von einem einsamen Gehöft, wo die Hunde lautstark ihr Revier verteidigen. Auf der saftig grünen Wiese tummeln sich die Saanenziegen von Cinzia und Renata, als ob sie die Stars des Berges wären. Ihre Hufe versinken sanft im weichen Gras, während sie anmutig über die Wiese schreiten. Das Sonnenlicht lässt ihr dichtes Fell glänzen und betont ihre majestätischen Hörner, die stolz in die Höhe ragen. Mit ihren Lippen pflücken sie geschickt und behutsam die saftigen Blätter zwischen den spitzen Dornen des Brombeerstrauches. Im kleinen Laden werden köstliche Käsesorten angeboten, deren Herstellungsverfahren seit Jahrhunderten unverändert geblieben sind.

Im Bergdorf Balme. © Foto/ BU: Heidrun Lange, Ort und Datum der Aufnahme: Balme, 8.4.2024

Das Dorf Balme strahlt zwar nicht den königlichen Glanz vergangener Zeiten aus, doch als erstes Bergdorf im Piemont ist es reich an Geschichte. Im örtlichen Museum zeugen verblasste Fotos von riesigen Schneemassen, die einst das Dorf im Winter bedeckten und die Bewohner tagelang in ihren Häusern einschlossen. Die Hirten mussten beschwerliche Wege durch die Berge nehmen, um für den Lebensunterhalt der Familien zu sorgen. Salz aus den Salzminen der Provence wurde gegen Reis aus dem Piemont getauscht, später folgten Tabak, Kaffee, Schokolade, Schießpulver, Seidentaschentücher und Olivenöl. Im 19. Jahrhundert wurden sie angesehene Bergführer und begannen mit dem Skifahren. Die Bewohner der Täler beobachteten mit Neugier die Entwicklung und wahrscheinlich auch die Stürze der ersten Skifahrer.

Schneeschuhhwandern in den Bergen. © Foto/ BU: Heidrun Lange, Ort und Datum der Aufnahme: 8.4.2024
Hoch oben in den Berge. © Foto/ BU: Heidrun Lange, Ort und Datum der Aufnahme: 8.4.2024
Im April immer noch verschneit. © Foto/ BU: Heidrun Lange, Ort und Datum der Aufnahme: 8.4.2024

Wer heute im April das Dorf besucht, kann noch immer Abenteuer im Schnee erleben, auch wenn im Tal bereits alles weggetaut ist. Ein steiler Pfad am Rande des Ortes windet sich durch den dichten Lärchenwald, dreihundert Höhenmeter in Serpentinen nach oben. Das Knirschen unter den Schneeschuhen begleitet jeden Schritt. Beim Vorwärtsstapfen kann man sich ein wenig in die Vergangenheit versetzen, als die Hirten mit ihren Holzleisten an den Füßen und ihren Ziegen mutig steile Schneehänge erklommen und gefährliche Schluchten sowie Gletscher überquerten, um schwere Lasten zu transportieren.

Guide Alessandro berichtet von den heimischen Wildtieren, die hier ebenfalls ihre Wege ziehen. Mit einem geschulten Blick weiß er genau, an welchen Stellen es sich lohnt genauer hinzuschauen, denn er kennt ihre Lieblingsplätze. Als Begleiter von Gästen ist er oft in der Natur unterwegs. Plötzlich ruft er aufgeregt: „Seht ihr das? Da klettert ein Steinbock auf dem Felsen. Und dort noch einer!“ Er zeigt auf eine Stelle an der Felswand direkt neben dem Wasserfall, wo zunächst nur dunkle Punkte zu erkennen sind. Doch mit einem scharfen Blick lassen sich die Tiere deutlich ausmachen. Selbst junge Steinböcke bewegen sich mühelos und leichtfüßig in den steilen Wänden auf und ab. Nach dem anstrengenden Aufstieg wird die Umgebung sanfter und Lärchen erstrecken sich so weit das Auge reicht. In der Ferne glitzern die schneebedeckten Gipfel der umliegenden Felskämme.

Verschneite Berge im Tal Val d Ala. © Foto/ BU: Heidrun Lange, Ort und Datum der Aufnahme: Val d Ale, 10.4.2024

Plötzlich taucht ein Steinadler auf und gleitet elegant über die Köpfe, um zu beobachten, was die Schneeschuhwanderer in seinem Revier suchen. Dann verschwindet er wieder lautlos im dichten Wald. Alessandro zeigt auf die Bäume mit den verschlungenen Wurzeln und erzählt begeistert davon, wie er im Wald seine innere Ruhe findet. “Einen Monat weniger Schnee hat Auswirkungen auf die Angebote im Wintertourismus. Doch zunehmend sind Mountainbike-Touren im Spätherbst gefragt”, so die Feststellung der Experten des Projekts Beyond Snow.

Blicke ins Susatal. © Foto/ BU: Heidrun Lange, Ort und Datum der Aufnahme: Susatal, 10.4.2024

Die Bergregion Colle de Lys bietet ideale Bedingungen, um mit dem Bike neben kulturellen Sehenswürdigkeiten und dichten Wäldern auch Neues zu entdecken.“

Border Collie Pubi passt auf. © Foto/ BU: Heidrun Lange, Ort und Datum der Aufnahme: Balme, 9.4.2024

Friedlich grast eine Schafherde, bis plötzlich Aufregung aufkommt, als der Geländewagen von Riccardo Borronium um die Kurve biegt. Der Hütehundezüchter öffnet die Tür und sein Border Collie Bubi springt sofort auf die Weide, um sicherzustellen, dass seine Schafe sich anständig benehmen. Die geduckte Haltung und der fixierende Blick des schwarz-weiß gefleckten Bubi lässt die Schafe sofort regungslos stehen. Tägliches Training ist wichtig. Gemeinsam nähern sich der Hundezüchter und Bubi den Schafen auf einem Abstand von 20-30 Metern. Riccardo gibt präzise Anweisungen. Der Border Collie flankiert in perfektem Winkel und wird dann mit einem ruhigen Seitenkommando losgeschickt, um die Schafe zu treiben. Er behält stets den Überblick und stoppt bei Bedarf, um erneut anzusetzen. Dabei achtet er darauf, alle Tiere zu umkreisen und keine Abkürzungen zu nehmen. Schließlich muss er den Schafen zeigen, wer der Boss ist! Denn er ist dafür verantwortlich, die Herde zu schützen. Mit zunehmender Präsenz von Wölfen in der Gegend wird diese Aufgabe immer wichtiger. “Der Border Collie gilt heute als einer der fähigsten Hütehunde der Welt“, erzählt Riccardo den Besuchern. Denn einige haben ihr Mountainbike abgestellt und sind zur Unterrichtsstunde dazu gekommen.

Reisehinweise

Turismo Torino: https://www.turismotorino.org

Käserei Ca du Roc in Cresto di Stura: www.maestridelgustotorino.com/en/master-of-taste/ca-du-roc

Grand Hotel Ala di Stura: www.grandhotelaladistura.it

Hotel Albergo Rocciamelone: https://www.albergorocciamelone.com

Wanderungen mit und ohne Schneeschuhe: www.trekkershome.it

Anmerkung:

Die Recherche wurde unterstützt von Turismo Torino s.c.rl., Regione Piemonte, Città Metropolitana di Torino (all’interno del progetto Alpine Space Beyond Snow), Consorzio Operatori turistici Valli di lanzo https://turismovallidilanzo.it/consorzio/.

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