Weltraum und Ghosttown – Zeitreise in das unbekannte Texas

Das San Elena Canyon des Rio Grande. Foto: © 2016, Dr. Bernd Kregel

Midland, Texas, USA (MaDeRe). Im „Großen Bogen“ des Rio Grande hat der amerikanische Pioniergeist deutliche Spuren hinterlassen.

Die Erdkugel von oben? Texas liebt es höher, schneller und weiter. Entsprechend dieser verbreiteten Vorstellung soll es nur ungern eine Gelegenheit auslassen, das angestrebte Image seiner Besonderheit unter Beweis zu stellen. Dies gilt natürlich auch für die Stadt Midland im Südwesten des Staates. Denn diese verfügt bereits heute über die technischen Möglichkeiten, mutige Zeitgenossen in gerade einmal drei Minuten hundert Kilometer nach oben zu katapultieren. Training, Druckkammer, Raumanzug sowie düsengetriebenes Fluggerät mitsamt Pilot natürlich inbegriffen.

Vierhundert zahlungskräftige Mutige haben sich, so Luftfahrtingenieur Mark Peck, bereits mit dreifacher Schallgeschwindigkeit in Richtung Weltraum schießen lassen, um sich mit diesem Parabelflug im Zustand der Schwerelosigkeit ihren persönlichen Lebenstraum zu erfüllen. Doch das ist noch nicht alles. Denn der spiralförmige Wiedereintritt des eleganten Raumgleiters in die Erdatmosphäre gibt den Blick frei auf eine bizarre Felslandschaft im südlichen Texas. Und auf den sie weiträumig umfließenden Rio Grande, der hier mit seinem „Großen Bogen“ zugleich die texanisch-mexikanische Grenze markiert.

Dem Himmel am nächsten

Biker als Kings oft the Road. Foto: © 2016, Dr. Bernd Kregel
Biker als Kings oft the Road. Foto: © 2016, Dr. Bernd Kregel

Während in Midland die Zukunft offensichtlich schon begonnen hat, scheint hier im „Big Bend“ die Zeit stehen geblieben zu sein. Besonders dort, wo sich das alte wilde Texas in seiner Lebensweise noch erhalten hat. Mit seiner Frontier-Mentalität, die heute allerdings keine Apachen oder Komantschen mehr zu fürchten braucht und aus diesem Grund von rassigen Pferden und auf röhrende Bikes umsteigen konnte.

So bestimmen die „Easy Rider“ vielerorts das Straßenbild und lassen das Herz höher schlagen. Bis hinüber zum Santa Elena Canyon, in dem sich der Rio Grande in zäher Kraftanstrengung durch eine Gebirgsformation hindurch sägt und mit steilen vulkanischen Felswänden die geologischen Geheimnisse der Region preisgibt. Oder bis hinauf zur Chisos Mountain Lodge, wo man im Zentrum einer gezackten Gipfellandschaft glaubt, dem Himmel am nächsten zu sein.

Illustre Gestalten

Grabkreuze der Geisterstadt Terlingua. Foto: © 2016, Dr. Bernd Kregel
Grabkreuze der Geisterstadt Terlingua. Foto: © 2016, Dr. Bernd Kregel

Ungleich schwerer als die heutigen Biker hatten es vor mehr als hundert Jahren die Minenarbeiter, die dem felsigen Boden bis in zweihundert Metern Tiefe ihren kargen Lebensunterhalt abtrotzen mussten. So wie in der Quecksilbermine von Terlingua, deren Vorräte sich irgendwann erschöpften und nur eine verfallene aber für heutige Besucher umso aufregendere Geisterstadt zurück ließen. Das Interessanteste jedoch sind all die illustren Gestalten, die sich auf der Veranda vor dem Souvenirladen tummeln und das Gespräch nicht scheuen. So wie Bill und Matthews, die irgendwann hier hängen geblieben sind und innerhalb kürzester Zeit im Gespräch ihre abenteuerlichen Biographien frei schaufeln.

Und die dabei ihre Sehnsucht nach Ferne kompensieren mit dem weiten Blick hinüber zu der Bergkette des angrenzenden Big Bend Nationalparks. Zunächst gleitet er jedoch über den etwas herunter gekommenen Friedhof aus jener alten Zeit. Schlichte Holzkreuze bestimmen hier das Bild und darauf die Namen der natürlich verstorbenen oder aber auf unsanfte Art ums Leben gekommenen Minenarbeiter. Einige der Kreuze bilden kleine Einheiten, andere hingegen liegen flach auf den Grabhügeln und rotten vor sich hin. Nur einmal, so Mike als exquisiter Kenner der Region, wird hier für Ordnung gesorgt. Nämlich dann, wenn alljährlich der Toten gedacht und das zwischen den Gräbern wuchernde Buschwerk zurück geschnitten wird.

Stuntman und Wildwestkulisse

Alltag im Lajitas Golf Resort. Foto: © 2016, Dr. Bernd Kregel
Alltag im Lajitas Golf Resort. Foto: © 2016, Dr. Bernd Kregel

Als eine Welt für sich präsentiert sich auch Lajitas. Ein gepflegtes Resort, dessen gut gepflegter Golfplatz gar nicht in die bizarre vulkanische Gebirgslandschaft hinein zu passen scheint. Dafür, dass es nicht zu zahm und zivilisiert zugeht, sorgt „Shooting Manager“ Quinton, der nach seiner Rückkehr aus dem Irakkrieg nicht gerade die politische Korrektheit auf seine Fahnen geschrieben hat.

Im Umgang mit Waffen sieht er daher nichts Ehrenrühriges. Vielmehr macht er interessierte Besucher bei Schießübungen mit den unterschiedlichsten Waffensystemen vertraut, von der Pistole bis zur Pumpgun. Um diese Waffen realistisch zum Einsatz zu bringen, hat er im weiten Gelände die Kulisse einer Wildwestsiedlung errichtet. In der lässt sich, mit seiner Hilfe als Stuntman, ein nostalgisch anmutender Galgen ausprobieren, dessen Seil dann aber doch abschreckend im Nachmittagswind hin und her baumelt.

Kiss the Horse

Texanische Landschaft im Big Bend. Foto: © 2016, Dr. Bernd Kregel
Texanische Landschaft im Big Bend. Foto: © 2016, Dr. Bernd Kregel

Ein anderer Höhepunkt sind die im Gelände versteckten Lajitas Pferdeställe. Ein Fluchtpunkt für alle, die nicht auf Schusters Rappen sondern auf dem Rücken der Pferde die zerfurchte und abenteuerlich wilde Felsengegend erschließen wollen. Dies ist das Reich von Kellie und Janelle, die als Cowgirls mit Erfahrung und Autorität ihre Gruppe durch das schwierige Gelände hindurch manövrieren.

Steil geht es auf gut trainierten Western Pferden über Stock und Stein hinauf ins Gebirge. Dabei sorgt Janelle mit ihrer Geschichte über ihre kürzliche Begegnung mit einem Puma-Paar einen Augenblick lang für betretenes Schweigen. Die Herausforderung während der heutigen Klettertour liegt jedoch eher darin, das Gleichgewicht im Westernsattel zu halten und der Trittfestigkeit von „Libby“ und „Whiskey“ unbedingt zu vertrauen. So folgt man abschließend bereitwillig dem am Stallgebäude angebrachten Hinweis: „If you liked your ride kiss the horse and tip your guide.“

Lichter von Marfa

Wasserpumpe auf texanischer Viehweide. Foto: © 2016, Dr. Bernd Kregel
Wasserpumpe auf texanischer Viehweide. Foto: © 2016, Dr. Bernd Kregel

Zivilisierter geht es dagegen zu in Marfa. In jenem einst verschlafenen Städtchen, das in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts als Drehort des Films „Giganten“ mit James Dean, Elisabeth Taylor und Rock Hudson Berühmtheit erlangte. Heute ist es ein Ort von 2000 Einwohnern, dessen gepflegtes Äußeres durch breite Straßen, farbige Fassaden und ein alles überragendes schneeweißes Justizgebäude zum Ausdruck gebracht wird.

Erstaunlich ist es allerdings, dass Naturbeobachter ausgerechnet hier Lichterscheinungen ausgemacht haben wollen, die als „Lichter von Marfa“ an dunklen Abenden in lang gestreckter Flammenform erscheinen sollen. Ein Loch Ness auf texanisch? Zuverlässiger sind hingegen die Beobachtungen, die an sternenklaren Nächten während einer der legendären Star Parties des McDonald Observatoriums gemacht werden können. Hier werden die Blicke, geleitet durch riesige Teleskope, aus der eigenen Milchstraße heraus geführt in die Unendlichkeit des Weltraums bis hin zu fernen Galaxien.

Mekka moderner Kunst

Üppige Blüte in texanischem Garten. Foto: © 2016, Dr. Bernd Kregel
Üppige Blüte in texanischem Garten. Foto: © 2016, Dr. Bernd Kregel

Und noch eine andere Interpretation der „Marfa Lights“ legt sich nahe. Sie geht zurück auf den Künstler Donald Judd, der hier nach dem Zweiten Weltkrieg in Anlehnung an den New Yorker Kunstbetrieb die abstrakte Kunst in die texanische Pampa hinein brachte. Und dies mit der Absicht, Kunst, Architektur und Landschaft harmonisch miteinander zu vereinen. Eine Pioniertat, die durchaus gelang und heute von der zu legendärem Ruhm gelangten Stiftung Chinati gefördert wird. Es sind Künstler wie Carl Andrej, Jan Flavon und Claes Oldenburg, die sich hier mit ihren modernistischen Ansätzen einen Namen gemacht haben.

Am eindrucksvollsten jedoch erscheinen die riesigen Aluminiumwürfel des Gründervaters Donald Judd. Mit jeweils unterschiedlich zusammengefügten Flächen laden sie das in die große Backsteinhalle einfallenden Sonnenlicht gleichsam ein zu unerwarteten und überwältigenden Lichtreflexen, die das Metall wie spiegelnde Glasflächen aufleuchten lassen. Texas von seiner kulturell modernsten Seite, die man hier im Big Bend des Rio Grande wahrlich nicht erwartet hätte.

Fotoreportage

Mehr Bilder zum Beitrag in der „Fotoreportage: Das unbekannte Texas“ von Dr. Bernd Kregel.

Reiseinformationen “Texas”:

Einreise: Mit Reisepass und Teilnahme am US Visa Waiver Programm für eine elektronische Einreiseerlaubnis („ESTA“).

Reisezeit: Ganzjährig. Zu bevorzugen ist jedoch aus klimatischen Gründen das Sommerhalbjahr.

Unterkunft: Midland: Home2Suites by Hilton Midland, www.midland.home2suites.com; Marathon: Eve’s Garden, www.evesgarden.org; Gage Hotel, www.gagehotel.com; Terlingua: BigBend Resort and Adventures, www.bigbendresort.com; Lajitas: Lajitas Golf Resort, www.lajitasgolfresort.com; Marfa: Hotel Paisano, www.hotelpaisano.com; Fort Davis: Hotel Limpia, www.hotellimpia.com

Auskunft: Texas Tourism: www.traveltexas.de; Visit Big Bend: www.visitbigbend.com; Visit Marfa: www.visitmarfa.com; Visit Midland: www.visitmidland.com; Fort Davis: www.fortdavis.com

Unterstützungshinweis:

Die Recherche wurde von Texas Tourism unterstützt.

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