Pond Inlet, Baffin Island, Nunavut, Kanada (MaDeRe). Null Sicht: pottendichter Nebel, Treibeisschollen segeln schemenhaft vorbei. Es ist lausig kalt, weil feucht. Die türkisfarbenen Schmelzwassertümpel auf den Schollen sind längst zugefroren und platzen knallend unter dem „Kapitän Chlebnikow“-Ansturm. Rauhreif lässt das Antennenfiligran armdick anschwellen: „schwarzer Frost“ zeichnet verantwortlich als Eis-skulpturen-Bildhauer. Zu allem Ungemach nun auch noch einsetzendes Schneetreiben. Einzige Orientierung: Dunkle Wolken werden vom Wasser reflektiert und zeigen eine offene Fahrrinne an, helle dagegen Eis. Zentimeterweise hebt sich der alles verhüllende Schleier. Atemberaubend, welche Kulisse er vor uns verborgen gehalten hat: Gletscher an Gletscher hangelt sich zu Tal und schließlich zum Fjord herab. Eisberge kalben, die als Monumentalfiguren – was kann man nicht an Formen alles in sich hineinfantasieren! – ein schwimmendes Zweitdasein beginnen. Unser kulinarischer Improvisationskünstler aus Salzburg, Joseph Schock, hat ein sicheres Gespür für die „Eishungrigen“. Bald dampft ein Riesentopf „Eisberg“-Tee auf der passagierbevölkerten Back. Das heiße Spezialgetränk „mit Einlage“ macht Unterkühlte wieder munter und lässt auf kalten Stahlplatten erstarrte Füße fast schmerzlos erscheinen.

Hinter der letzten Fjordkrümmung unser nächstes Ziel: Pond Inlet, eine der ältesten Inuit-Siedlung in Kanada. 900 überwiegend Eskimo-Seelen leben hier auf einer mächtigen Schotterterrasse sicher über der mit Treibeis bedeckten Bucht. Am Strand der früheren Walfangstation tummeln sich muntere Kinderscharen. 50 und mehr Händchen stecken sich mir entgegen. „What’s your name?“ und man hört ‘s eskimountypisch von den teils barfüßigen Kids: John, Mary, Anne oder Sophie. Zwei nehmen uns an die Hand und führen uns durch ihr staubiges Kaff, zeigen uns die „Highlights“ ihrer kalten Heimat: ein Bildhauer, der kleine Skulpturen aus grünem Speckstein schleift; einen Jäger, der Karibu-Felle zum Trocknen im Sand ausbreitet; einen Bootsbauer bei der traditionellen Konstruktion eines Kajaks aus Holzspanten und Seehundsfell-Außenhaut; eine alte Frau vor ihrem grasbodenbedeckten Erdhaus beim Fischetrocknen. Der (weiße) Mann im bullernden Generatorhaus hat – man hört ‘s – im badischen Rastatt bei der kanadischen Luftwaffe gedient und ist „Fan alles Deutschen“. Von der Straße weg wird man zum Tee eingeladen – „harte Drinks“ gibt ‘s hier nicht, denn die Gemeinde ist „trocken“, also ohne Alkohol. Der könnte sich verheerend auf das Verhalten der Menschen auswirken, würde sie aggressiv oder apathisch stimmen. Verheerend allerdings die Umweltprobleme. Vor den von der Regierung gespendeten Fertighäuschen – Zeichen schlechten Gewissens gegenüber den arg gebeutelten Ureinwohnern? – türmt sich stinkender Abfall und Zivilisationsschrott. Eine Kanalisation ist, weil im Felsboden schwierig zu realisieren, unbekannt. Also rein mit der trüben Brühe in den Bach, eine Beleidigung für Nase und Augen.

Da ist die Fahrt zum gegenüber liegenden Gletscher schon anders. Ein steifer Wind baut Seegang auf, nicht nur der Hintern wird bei der Zodiac-Überfahrt nass. „Da geht einem der Arsch auf Grundeis“, erkennt ein Mitfahrer des Wortes wahre Bedeutung. Der russische Bootsführer lässt demokratisch abstimmen, ob die eisige Wasserfahrt abgebrochen werden soll. Die Rückkehr könnte durch verdichtetes Treibeis und Seegang glatt verbaut werden. Wir wollen es riskieren. Das vorhin noch so nahe Ufer ist plötzlich eine halbe Bootsstunde entfernt, umgekehrt das Schiff auf Modellschiffgröße zusammengeschrumpft – ein unangenehmes Gefühl angesichts arktischer Klarluft-Dimensionen. Am Strand festsitzende Eisblöcke, beliebte Eisbärverstecke. Im Sand Schneegans- und Polarfuchsfährten. Die mumifizierte Seehundsflosse ist Rest einer Eisbärenmahlzeit. „Mother nature was it“, meint unser Inuit-Führer Saniuq wie entschuldigend. Auf einer Eisscholle zwei seiner Dorfmitbewohner, die nach Seehunden schießen. Die im „Northwest“-Supermarkt der ehemaligen Hudson-Bay-Company hängenden Wildkatzenfelle zu je 150 Dollar erregen allerdings unseren Zorn. Deren Jagd ist laut Washingtoner Artenschutzabkommen strikt verboten. Wer kennt das hier draußen schon? Andererseits sind die „Nordmänner“ den Euro-Kanadiern im Süden so gut wie gleichgültig. „Die sind einfach zu weit weg, um sich für ihre Probleme zu interessieren“, höre ich von Donna aus Toronto.

Fotoreportage

Mehr Bilder zum Beitrag in der Fotoreportage: Nordwest-Passage von Dr. Peer-Schmidt-Walther.

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