Murnau im Mai, mit Staffelsee auf mancher Staffelei, mit der Münter, dem anderen Seidl, den „Malweibern“ und Kunstwirten zwischen Markt und Moos

Das Münter-Haus im Mai-Schnee... © 2019, Foto/BU: Christoph Merten

Murnau am Staffelsee, Deutschland (MaDeRe). Ein kleiner Steppke stand voller Ehrfurcht an der Treppe. Verfolgte wohl die bunte Reiterschar welche das Geländer hinauf galoppierte. Hinunter schritt die Dame des Hauses, sagt ihm verblassende Erinnerung. Seine malende Mutter hatte sich wie zur Audienz gerichtet. Aber schon sehr bald konnte er draußen wieder die blühende Natur betrachten. Und still vereint gingen sie frohgemut von dannen.

Diesmal, Anfang Mai, erschien die Szenerie märchenhaft. Schnee fiel auf das Russenhaus, wie so manche Murnauer das Domizil von Wassily Kandinsky und Gabriele Münter bezeichneten. Museal ausgestattet und meist nachmittags für geneigte Besucher geöffnet, gewährt es Einblick in die letzte Lebensphase der Künstlerin und auf frühere Zeiten des Paars deren Glück man beim Durchgehen nie so recht glauben mag. Streit um seine Bilder gab es dann ja auch zu Genüge zwischen den beiden. Ihre Bilder erstrahlten erst spät; aber im Tausch gegen Nahrung waren sie immer zu Schade. Derlei Geschichten verweise man doch besser ins Sagenhafte – meinen Kunsthistoriker von Format.

Im Juni 1908 „betrat“ Gabriele Münter „zum ersten Mal den Ort“ und war „entzückt“. Mit Kandinsky reiste sie die Jahre vorher durch halb Europa – und bis nach Tunesien. „Aber nirgends hatte ich eine solche Fülle von Ansichten vereint gesehen, wie hier in Murnau, zwischen See und Hochgebirge, zwischen Hügelland und Moos.“ Wassily war bereits 1904 auf einer Radtour vorbeigekommen. 1909 erwarben sie die Villa Streidl, welche Ureinwohner wegen den beiden sowie ihren Künstlergästen bald nur noch als „Russen-Haus“ titulierten. Bei gutem Wetter ist der Garten eine Augenweide, und der Blick auf Schloss und Kirchhügel mit bunter Pracht im Vordergrund lohnt dann besonders.

Die Essecke im Wohnzimmer mit der Hinterglasmalerei. © 2019, Foto/BU: Christoph Merten

Das kleine blaue Buch als ein Begleiter durchs Haus erklärt auch wie und wo „Der Blaue Reiter“ gefunden wurde. Der Heilige Georg vom Umschlag des berühmten Almanachs – Patron von Murnau und Moskau – erscheint in der Essecke vom Wohnzimmer als ein Motiv der Hinterglasbilder von Kandinsky. Vereint mit Stücken aus der volkskundlichen Sammlung von Münter und ihm, passt dazu das Gemälde von ihr mit Wassily zu Tisch in bayerischer Tracht. Das gesuchte Unverfälschte, das vermarktete Folkloristische – der Weg reicht schon vom Esstisch zur Sofaecke. Wie die richtungsweisende Kunst in der Sichtweise Völkischer als „Entartete“ entstand, das ist auf spannende Art von Raum zu Raum wandelnd gut zu erkennen und nachzuvollziehen.

Sinnspruch am Rastplatz mit Aussicht im Seidlpark. © 2019, Foto/BU: Christoph Merten

Das Heim des Schreinermeisters Streidl welches Münter und Kandinsky erwarben wäre zu schlicht um als Bauwerk vom „anderen“ Seidl zu gelten. Emanuel von Seidl werden in Murnau viele Villen besser: Landhäuser zugeschrieben. Im Voralpenstädtchen dessen Verschönerung von 1905 bis 1913 er initiierte ist Gabriels jüngerer Bruder vielerorts präsent. Die Sommerfrische am Staffelsee wurde ihm seit 1891 zur zweiten Heimat – das „Gelobte Land“. Ab 1901 errichtete er mit Blick auf Moos und Berge sein Landhaus im Heimatstil (abgerissen). Am Südhang entstand der Park auf englische Art. Mit Bauten für Schauspiel und Gesang, Tempeln, Terrassen, Statuen und Badehaus. Für Feste, für Freunde, idyllisch bis heroisch, und nur teils im Jugendstil. Ein Gang durch den „Seidlpark“ ist eine Zeitreise in Grün. Und beim oberen Eingang zum Park liegt gut erhalten und akribisch gepflegt von der „Antonie-Zauner-Stiftung“ Villa Reinherz das „Seidl-Haus am Karpfenberg“.

Villa Reinherz, die „Seidl-Villa“, Haus und Park am Kapellenberg. © 2019, Foto/BU: Christoph Merten

Zur vorletzten Jahrhundertwende ging es mit Pinsel, Stift und Staffelei von Ahrenshoop bis Worpswede und hinauf bis Murnau zum malen „plein air“ ans Meer, ins Moor oder wie hier ins Moos. Durchaus chic für viele höhere Töchter aber nicht schicklich für die wilhelminische Gesellschaft. „Malweiber“ wurden sie genannt, auch die Partnerinnen berühmter Mannsbilder: Marianne von Werefkin, Maria Marc und Gabriele Münter. Kunstweiber nennen sich, als fröhliche Hommage an jene Tradition, die Künstlerinnen welche 2019 bei einem der „Kunstwirte“ ausstellen. Kunst und Kulinarik verbinden, eine Idee die Murnau kulturell und kulinarisch aufblühen lässt und bereits mit Galerien und Ateliers auf Dauer Früchte trägt.

Skulptur von Stefanie Speermann am Staffelsee. © 2019, Foto/BU: Christoph Merten

Kennt man doch zu Genüge, mögen manche jetzt sagen – Schinken mit kleinem Salat in Öl und Ölschinken drüber. Keine Kombi für Kunstwirte und Kunstweiber: kostbare Kost und kreatives Können erfreut Augen, Gaumen und Gemüt. Von der Marktstraße, bis hinein ins Moos – sogar am angrenzenden Staffelsee stand wohl manche Staffelei. Die „Kunstwirte“ sind allesamt „Staffelseewirte“ die bei Produkten auf regional und saisonal achten und natürlich auf Qualität. Wirte sowie die Produzenten der Kunstwerke – wobei, auch Kulinarik ist ja Kunst – müssen zueinander passen. Bei Weib- und Wirtsleuten klappt’s. Marc Völker vom KuHaus, Mit-Initiator der Veranstaltungsreihe, führt auf „KunstKulinarische Reise“. Zwei Routen, vier Küchen und heuer Künstlerinnen, und bei jedem Gastgeber fünf Gänge. Start ist im Galerie-Atelier. Unbedingt dabei sein sollte als Station das urige „Bischoff’s Ähndl“ oberhalb vom Murnauer Moos und der „Griesbräu“ als Inbegriff eines bajuwarischen Brauereigasthofs. Immerhin, auch Gabriele Münter genoss den malerischen Blick hinaus zum Markt.

Aufgespielt wird im Griesbräu zu Murnau am Staffelsee. © 2019, Foto/BU: Christoph Merten

Vor lauter Schauen und Schlemmen bei den Weibern und Wirten der Kunst sollte das Schlossmuseum keineswegs ins Abseits geraten. Eine umfangreiche Sammlung von 80 Werken Gabriele Münters aus all ihren Schaffensperioden, dazu Arbeiten der Künstler und -innen des „Blauen Reiter“ – sowie eine vielfältige Ausstellung von Hinterglasmalerei, mit volkstümlichen bis zu zeitgenössischen Exponaten. Die einzige ständige Dokumentation zu Leben und Werk von Ödön von Horváth, der sich von 1923 bis 1933 in Murnau öfters aufhielt und hier, im Hause seiner Eltern, mehrere Stücke wie „Glaube Liebe Hoffnung“ schrieb, ist nicht nur für Literaturfreunde interessant. Und das Gabriel von Seidl dessen 100. Todestag sich Weihnachten jährt endlich zur bundesdeutschweiten Bedeutung gelangt, dafür sorgt die Ausstellung „Verloren, doch nicht vergessen“ mit vielen neuen Dokumenten, Plänen und Erkenntnissen bestimmt. Vom 5. Dezember 2019 bis 1. März 2020 ist der generöse Gastgeber im Museum zu Gast.

Auskunft:

Tourist Information Murnau, Untermarkt 13 (Rathaus), 82418 Murnau am Staffelsee, Telefon: 08841-476240, E-Mail: touristinfo@murnau.de, Web: www.murnau.de

Anmerkung:

Die Recherche wurde unterstützt von Murnau und Kunz PR.

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