Baan Naklang, Chiang Mai, Thailand (MaDeRe). Dass dies kein Sonntagsspaziergang werden sollte, war von Anfang an klar: Die Organisation, welche zu dieser abenteuerlichen Reise in den Dschungel im Nordwesten Thailands, viereinhalb Stunden von Chiang Mai entfernt, einlud nennt sich „Biosphere Expeditions“ – und eine Expedition war es denn auch, mehrtägig, physisch ziemlich anspruchsvoll (doch bei genügender Fitness durchaus machbar), einfach was Unterbringung und Essen betrifft, doch umso lohnender! Voraussetzung für die Teilnahme ist, abgesehen natürlich von Marschfähigkeit auch in tropischen Verhältnissen und durch dichte, dornige Urwald-Vegetation, die Liebe zur Natur, zu Pflanzen und Tieren, vor allem natürlich Elefanten – und eine unzimperliche (sprich: furchtlose…) Einstellung gegenüber jenem Getier, dessen nähere Bekanntschaft man nicht unbedingt machen will. Dazu gehören mancherlei Insekten und, ja, Giftschlangen. Aber das sollte kein Hindernis sein. Wenigstens gab es kaum Mücken. Dafür (so die Berichte der Einheimischen) eine angeblich sechs Meter lange Königs-Kobra in der Toilette im Base-Camp, die wir alle vor dem Abmarsch täglich benützten: Die allgegenwärtigen Hunde entdeckten das Tier, das sich sofort in Angriffsposition aufstellte, mit bleckenden Giftzähnen und bedrohlich gespreiztem Nackenschild. Die alarmierten Dorfbewohner kamen, mit Gewehren bewaffnet, rasch über die Hängebrücke, die das Dorf vom Base-Camp trennt, und machten die Kobra rechtzeitig unschädlich…

Wilde Elefanten im Nordwesten von Thailand. © Foto/BU: Dr. Charles E. Ritterband, Aufnahme: Thailand, 12.11.2022

Krise der Elefantentourismus-Industrie

Zu den touristischen Hauptattraktionen Thailands gehören die sogenannten Elefanten-Camps. In Thailand werden befinden sich mehr Elefanten im Touristen-Einsatz als irgendwo sonst auf der Erde: Es sollen über 3000 sein. Fast alle sind im Besitz von privaten Eigentümern. Doch im Zuge der Covid-Pandemie versiegte der Tourismus-Strom fast vollständig und viele der Elefanten, die als Reittiere eingesetzt (und missbraucht wurden) und neben ihrer traditionellen Arbeit, dem Schleppen von gefällten Baumstämmen allerlei Kunststücke vorführten (wie die Herstellung von Malereien) wurden „arbeitslos“, weil sich die Eigentümer ohne touristische Einkünfte die immensen Futterkosten nicht mehr leisten konnten. Ein ausgewachsener Elefant verzehrt 100 bis 200 Kilogramm an Nahrung und trinkt 100 Liter Wasser pro Tag. Arbeitslos wurden auch die „Mahouts“, die Elefanten-Betreuer, welche „ihre“ Tiere ein Leben lang begleiten und eine innige Beziehung zu ihnen pflegen. Die Elefanten in den Touristencamps hatten vor der Pandemie für den Staat Einkommen in Höhe von 770 Millionen Dollar pro Jahr generiert. Das Wegfallen dieser Einkünfte trifft Thailand hart.

Nicht nur der finanzielle Einbruch wegen der Pandemie löste die akute Krise im thailändischen Elefanten-Tourismus aus. Unter Touristen und Reiseorganisationen hatte es sich allmählich herumgesprochen, dass die Elefanten in den Touristencamps zumeist nicht artgemäß behandelt, ja oft regelrecht gequält werden. Insbesondere der Ritt auf Elefanten in den großen hölzernen Satteln ist für die Tiere quälend und schädlich – manche Tourismus-Unternehmen, welche die ethischen Bedenken gegenüber den Elefanten-Camps ernst nehmen, sind inzwischen dazu übergegangen, Spaziergänge mit Elefanten statt den bisher üblichen Ritten anzubieten. Bei diesen werden die Tiere an der Leine geführt bzw. begleitet, was den Besuchern immerhin Nähe und sogar Körperkontakt zu den mächtigen Tieren gewährt, ohne diesen Schaden zuzufügen. Doch die Touristen sind wegen Covid und den Reise-Restriktionen jahrelang ausgeblieben. Ergebnis: Die Tiere kamen weniger zu körperlicher Bewegung und erlitten gesundheitliche Schäden.

Auch das bei den Touristen so beliebte Bad der Elefanten ist in Wirklichkeit fragwürdig: Werden die Tiere von den Mahouts gewaschen, so wird die Schutzschicht aus Schlamm gegen UV-Strahlung (ja, auch Elefanten sind Sonnenbrand-gefährdet…) und Insektenbefall beseitigt und die gar nicht so unempfindliche Elefantenhaut gefährlich exponiert. Doch bei aller neuen Sensibilisierung – nur elf der insgesamt 200 vor der Pandemie operierenden Elefantencamps haben von der World Animal Protection (WAP) positive Bewertungen erhalten. Die thailändische Gesetzgebung bietet den Elefanten in Gefangenschaft keinen genügenden Schutz: Drei Ministerien sind dafür zuständig – und angeblich gibt es zwischen diesen keine oder kaum Koordination.

Wilde Elefanten im Nordwesten von Thailand. © Foto/BU: Dr. Charles E. Ritterband, Aufnahme: Thailand, 08.11.2022

Rückkehr in die Wildnis?

Rund 3700 Elefanten leben in Gefangenschaft und sind (bzw. waren) für die Tourismus-Industrie tätig; ebenso viele – nach optimistischen Schätzungen weniger als 4000 – leben in den Urwäldern des Nordwestens auf freier Wildbahn. Vor einem Jahrhundert sollen es noch rund 100 000 gewesen sein – die meisten sind Wilderern zum Opfer gefallen, die es auf das Elfenbein abgesehen hatten.

Biosphere Expeditions ist eine im Jahr 1999 gegründete, inzwischen preisgekrönte ökologische Organisation auf non-profit-Basis. Deren Hauptquartier befindet sich in Irland, Zweigstellen befinden sich in Australien, Frankreich, Deutschland, dem Vereinigten Königreich und den USA. Die hier im Nordwesten Thailands tätige Organisation nennt sich „Kindred Spirit Elephant Sanctuary“ („Elefantenschutzorganisation für Gleichgesinnte“). Deren Ziel ist es, möglichst viele Elefanten aus den Touristencamps wieder in die Wildnis zurückzuführen – eine extrem schwierige Aufgabe, denn die dort gehaltenen Tiere können auf freier Wildbahn nicht ohne weiteres Fuß fassen.

Deshalb heuert Biosphere freiwillige Helfer aus aller Welt an, die täglich in den Urwald ausrücken (was jeden Tag viele Kilometer Marsch durch den hügeligen Urwald bei Tropenhitze bedeutet, steile Hänge hinauf, durch dichte, of mit Stacheln bewehrte Vegetation…), das Verhalten der Elefanten aus nächster Nähe nach einem streng reglementierten Plan, mit eingeschalteter Stoppuhr im Halbstundentakt beobachten und aufzeichnen. Nach Rückkehr ins Camp werden diese Aufzeichnungen jeweils in die Laptops übertragen – am Ende der Woche verdichten sich die Beobachtungen dieser Tage zu aufschlussreichen Grafiken.

So sollen die Bedürfnisse und Gewohnheiten der Elefanten auf freier Wildbahn ermittelt werden und später bei der Auswilderung ihrer Artgenossen zum Einsatz kommen. Tier- und Naturliebe und Furchtlosigkeit, aber auch Fitness und eine gewisse Bedürfnislosigkeit sind die Voraussetzungen für die Teilnahme an diesen Expeditionen. „Science is not safari“ heißt es denn auch in den Unterlagen, welche den Kandidaten für diese Expedition zugeschickt werden. Ein Paar, das diese Erfahrung mit ihrer Hochzeitsreise kombinieren wollte, wurde vom Expeditionsleiter freundlich aber bestimmt heimgeschickt…

Der Autor auf Expedition im Nordwesten von Thailand. © Foto/BU: Dr. Charles E. Ritterband, Aufnahme: Thailand, 10.11.2022

Von Chiang Mai aus machten wir uns im Jeep auf zur Fahrt durch die dicht mit tropischer Vegetation bewachsene Bergwelt des Srilanna Nationalpark bis wir nach Baan Naklang, ins Dorf der Karen gelangen – einer zu den „Bergvölkern“ gerechnete Ethnie. Von der Dorfbevölkerung aufs herzlichste begrüßt und aufgenommen  werden uns „Homesteads“, Unterkünfte bei Familien zugewiesen; an einem der Abende wird dort von den Gastgebern für uns gekocht. Hier, in einer auf Stelzen errichteten Hütte am Rande des Dorfes und über eine Hängebrücke erreichbar, befindet sich die Basis des „Kindred Spirit Elephant Sanctuary“.

Nach einem Plan werden die Aufgaben verteilt: Küchendienst, Vorbereitung der Mahlzeiten, Abräumen. Von hier aus findet – bisweilen noch vor dem Morgengrauen – der Abmarsch in den Urwald statt. Dort hält man sich sechs Stunden auf, um die Elefanten zu beobachten und deren Verhalten auf einem Formular zu registrieren. Sechs Elefanten , drei Bullen und drei Weibchen, sind unsere Beobachtungs-Objekte. Die Tiere gehören jeweils einer Karen-Familie – es sind „halb-wilde“ Elefanten, die früher in Touristencamps eingesetzt waren und jetzt im Urwald leben.

Wir sind sieben Teilnehmer aus verschiedenen Ländern – wir fühlen uns ein bisschen wie Forscher, ein bisschen wie Abenteurer, aber alle nehmen die ihnen anvertraute Aufgabe sehr ernst und verrichten sie mit eiserner Disziplin, aber auch viel Spaß an der Sache. Abwechslung bieten die für sehr geringe Beträge angebotenen Massagen, ein „Markt“ in unserem Basis-Camp, auf dem die Dorfbewohnerinnen ihre selbstgewobenen Schals anbieten und natürlich die (strikt vegetarischen) Mahlzeiten. Während unserer Forschungstätigkeit – man darf dies wohl ohne Übertreibung so nennen – werden wir den Mahouts begleitet, welche die ihnen anvertrauten Elefanten seit Jahren kennen, ja Tag und Nacht mit ihnen zusammenleben. Wir fühlen uns sicher, obwohl die Unbekümmertheit der Mahouts neben diesen tonnenschweren Tieren uns gelegentlich zu Unvorsichtigkeit, ja Leichtsinn verleitet – denn vor allem die Bullen, so wird uns gesagt, sind letztlich unberechenbar und manchmal launisch. Deshalb wird uns eingeschärft, bei unserer Registrierungstätigkeit mit dem Clip-Board immer einen Fluchtweg vorzumerken, falls einer der Bullen ausrastet. Doch dies ist nie geschehen und die Nähe zu diesen Tieren vermittelte bleibende Eindrücke und hinterließ die Hoffnung, dass die von uns gesammelten Daten möglichst vielen Tourismus-Elefanten eine Zukunft auf freier Wildbahn in den verbleibenden thailändischen Urwäldern ermöglichen wird.

Anmerkung:

Die Recherche wurde von Biosphere Expeditions unterstützt.

Siehe auch die

im MaDeRe.

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