Mittersill, Österreich (MaDeRe). Hundert Jahre nach der ersten Vision hat sich der Naturschutz im Salzburger Land fest etabliert.
Benebelt von sprühender Gischt fällt die Krimmler Ache gleich mehrfach aus ihrem Bett. Mit dröhnender Wucht stürzen ihre entfesselten Wassermassen dabei in mehreren Stufen hinunter in die Tiefe. Geleitet nur von der Schwerkraft, die nach insgesamt 390 Metern Fallhöhe das untere Ende der Fälle jeweils in donnerndem Rauch explodieren lässt. Vielleicht als ein auftrumpfender Versuch des sonst eher bescheidenen Salzach-Quellflusses, der Wasserfall-Konkurrenz im hohen europäischen Norden selbstbewusst das Wasser zu reichen?
Rückzug in die Gipfelregion der Dreitausender
Gebannt blickt Ranger Ferdinand Rieder dem freien Fall der Krimmler Wasserfälle nach. Nur zu genau weiß er, dass mit dem Einzug der warmen Jahreszeit die Fülle der Fälle einer Bankrotterklärung des Winters gleichkommt. Der demonstriert mit 17 Gletscherbächen, so hat Ferdinand nachgezählt, zwar noch einmal seine Präsenz. Aber nur in einem aussichtslosen Rückzugsgefecht, da diese allesamt mühelos von der Krimmler Ache aufgesogen werden. So bleibt dem Winter keine andere Wahl, als sich einen ganzen Sommer lang in die Gipfelregion der Dreitausender zurückzuziehen.
Das merken zuerst die Murmeltiere auf den schottrigen Moränenhalden am hinteren Ende des Tales. Mit gespreiztem Fell machen sie es sich auf den warmen Steinen vor ihren Höhleneingängen bequem und verleihen mit schrillen Pfiffen ihrer Lebensfreude Ausdruck. Noch kein Adler oder Geier, der hier am frühen Morgen seine Kreise zieht. Dieser Ernstfall, so weiß Ranger Ferdinand aus Erfahrung, würde den braunen Nagern ihre gute Stimmung augenblicklich verderben.
Eröffnung des Almsommers
Auch die Talbewohner an den Ufern der Salzach sind bei der offiziellen Eröffnung des Almsommers wie ausgewechselt. In Trachten-Festtagskleidung führt sie ihr Weg von Uttendorf aus bergan auf die Sonnbergalm. Vorbei an gastfreundlichen Almhütten und braunweiß gescheckten Pinzgauer Kühen, die sich offensichtlich über den Besucherandrang wundern. Erst vor wenigen Tagen haben sie von ihren Almwiesen Besitz ergriffen, von wo aus sie nun ihrerseits mit hellem Glockenklang den Almsommer einläuten.
Immer weiter bleibt das vom Morgenwind zerzauste Wolkenmeer unterhalb des Bergpfades zurück, und immer mächtiger erhebt sich darüber jenseits des Tales die Bergkulisse der Hohen Tauern. Ein Alphornquartett weist mit feierlich getragenen Klängen den Weg zum Gipfelkreuz, wo ein Berggottesdienst – natürlich unter freiem Himmel – die im Tal häufig verloren gegangenen menschlichen Maßstäbe angesichts der unkalkulierbaren Bergwelt wieder zurecht rückt. Es ist die traditionelle liturgische Eröffnung des geselligen Treibens vor der Almhütte mit Blasmusik und herzhaftem Bauernschmaus.
Nationalparkzentrum Hohe Tauern
In diesem Jahr jedoch steht ein Anlass ganz besonderer Art im Vordergrund der Feierlichkeiten. Denn genau hundert Jahre sind es her, seit hier im österreichischen Pinzgau erstmals in Anlehnung an den amerikanischen Nationalparkgedanken die Vision eines Tauern-Nationalparks die Gemüter bewegte. Mit deren Verwirklichung sollte es jedoch wegen der Kriegswirren des letzten Jahrhunderts noch mehrere Jahrzehnte dauern. Doch nun gibt es ihn, den Tauern-Nationalpark, größer als alle österreichischen Nationalparks zusammen und sogar in seinen Ausmaßen unübertroffen in ganz Europa.
Ein rundes Jubiläum, das sich die Region einiges hat kosten lassen. Vor allem im Städtchen Mittersill, das schon längst mit einem ansehnlichen „Nationalparkzentrum Hohe Tauern“ aufwarten konnte. Darin werden die aufregenden Erlebniswelten des Tauern-Nationalparks vorgestellt. Vom König der Lüfte, der majestätisch über den Gletscherspalten des Großglockner-Massivs dahin gleitet, bis hinunter zu den Gewässern am Fuße des Bergmassivs, in denen es von Leben nur so wimmelt.
Eine über den Felsen sich schlängelnde Kreuzotter veranlasst Ranger Martin Unterhofer, ein eigenes Erlebnis in seine Führung durch die Ausstellung einzubringen. Erinnert sie ihn doch an eine Schlangenhochzeit, deren unangemeldeter Gast er einst wurde. Fünf der giftigen Kriechtiere hatten sich in einer kleinen Schlangengrube unmittelbar vor ihm ineinander verknotet. Etwa um mit einer eigenen Kraftanstrengung beim Weibchen einen Punktgewinn zu ergattern?
Weltweit einzigartige Projektionstechnik
Und doch werden alle Museumsattraktionen in diesem Jahr übertroffen von einem Museums-Erweiterungsbau im Zylinderformat. In seinem Inneren beherbergt er eine Rundum-Projektionsfläche für einen durch acht miteinander verbundenen Spezialkameras gedrehten Nationalparkfilm von der spektakulären Gipfelwelt der Hohen Tauern. In einem weltweit einzigartigen Verfahren wird er nun mit modernster 360-Grad-Projektionstechnik an die Zylinder-Innenwand projiziert, untermalt von einer atemberaubenden, die Handlung überhöhende Tonkulisse.
Das Untergeschoss des zweistöckigen Rundbaus dagegen wartet im Jubiläumsjahr auf mit der Nationalparkausstellung „Making of Nationalpark“ aus der hundertjährigen Geschichte des Nationalparkprojekts. Mit all ihren Erfolgen und Rückschlägen. Unglaublich, so Ranger Martin, dass der robuste Steinbock im gesamten Alpenraum bis auf wenige Südtiroler Exemplare völlig ausgerottet war. Inzwischen jedoch ist er durch Schutzmaßnahmen wieder weit verbreitet, sodass man heute, wie er hinzufügt, jedes lebende Exemplar von seiner Abstammung her zu Recht als einen Italiener bezeichnen kann.
„Red Bull der Natur“
Schützenswert ist natürlich auch die Alpenflora mit ihren Blumen und Kräutern, von denen es allein auf den Almen des Pinzgaus 1200 unterschiedliche Arten gibt. Kräuterspezialistin Andrea Rieder kennt sie fast alle. Gleich einer wieder erstandenen Hildegard von Bingen führt sie durch den ausgedehnten Kräutergarten der Gemeinde Hollersbach und schwärmt dabei von der Urkraft, die allein von Pflanzen wie dem Schnittlauch, dem Fenchel oder der Petersilie ausgehe.
In angemessener Dosis verzehrt, davon ist sie überzeugt, trage ihr Chlorophyll dazu bei, den menschlichen Körper für alle Anforderungen des Lebens fit zu erhalten. Denn für alle Probleme sei schließlich ein Kraut gewachsen, wie beispielsweise der Thymian, der sich als das beste Gute-Laune-Kraut erwiesen habe. Oder die häufig unterschätzte Brennnessel. Vor der solle man gar den Hut ziehen, sei sie doch – richtig verarbeitet – in ihrer anregenden Wirkung zweifellos „das Red Bull der Natur“.
Gondel-Tischgemeinschaft für Genießer
Unweit vom Hollersbacher Kräutergarten befindet sich die Talstation der Panoramabahn hinauf zur Resterhöhe. Viermal im Jahr verwandeln sich ihre kleinen Gondeln zu einer Tischgemeinschaft für Genießer. Vier Köche aus der Umgebung haben sich zu dieser Initiative zusammengeschlossen, die es bis zu zweihundert Gourmets erlaubt, während einer Gondel-Rundfahrt ein Vier-Gänge-Menü zu genießen.
Ein kulinarisches Erlebnis der besonderen Art von Tafelspitzsülzchen mit Frischkäse-Kohlrabirolle sowie Saiblingsroulade im Kräuter-Gemüsefond als Vorspeisen. Über gefülltes Rebhuhnbrüstchen an frühlingshaftem Risotto als Hauptgericht bis hin zu geeistem Himbeerspitz auf Fruchtsaucen als Nachspeise. Dazu die entsprechenden Weiß- und Rotweine, bei denen die gute Stimmung in der Kabine nicht lange auf sich warten lässt.
Lawinenabenteuer und tosende Unwetter
Wie anders dagegen die deftige Kost aus bodenständiger Küche im Krimmler Tauernhaus auf halber Höhe des Krimmler Achentals. Schon seit dem Spätmittelalter eine Raststätte und Herberge, ist es heute ein alpiner Stützpunkt für Bergsteiger und Wanderer, der heute mit vier Generationen gleichzeitig aufwarten kann. Gegenwärtig sind Friedel und Gundi Geisler als Inhaber des Tauernhauses die Seele der höchstgelegenen ganzjährig betriebenen Landwirtschaft im Nationalpark Hohe Tauern.
Keinen gemütlicheren Ort gibt es als die Jahrhunderte alte holzgetäfelte Stube mit ihrem stimmungsvollen Herrgottswinkel und den vergilbten Fresken von Wandermalern aus dem 19. Jahrhundert. Und wenn Friedel schließlich nach getaner Arbeit in der Küche sich dazu setzt und zu erzählen beginnt von Lawinenabenteuern und tosenden Unwettern, dann ist endgültig die Zeit gekommen, die Zeit zuvergessen.
Reiseinformationen „SalzburgerLand/Hohe Tauern“
Anreise: Mit dem Flugzeug nach Salzburg, beispielsweise ab Düsseldorf, Köln/Bonn, Hamburg und Berlin, dann weiter mit Bus oder Bahn über Zell am See nach Mittersill.
Reisezeit: Ganzjährig als Sommer- oder Wintersaison; manche Orte wie das Krimmler Achental sind nur im Sommer erreichbar.
Reiseveranstalter: Die Region Pinzgau ist klassisch für Selbstfahrer und Selbstbucher.
Unterkunft: Mittersill: Sonnberghof, www.Sonnberghof.at; Zell am See: Grand Hotel Zell am See, www.grandhotel-zellamsee.at; Krimmler Achental: Krimmler Tauernhaus, www.krimmler-tauernhaus.at
Auskunft: SalzburgerLand Tourismus: www.salzburgerland.com; Ferienregion Hohe Tauern: www.nationalpark.at Nationalpark Hohe Tauern: www.hohetauern.at
Anmerkung:
Vorstehender Artikel von Dr. Bernd Kregel wurde unter dem Titel „Und die Kuh schaut zu – Der Nationalpark Hohe Tauern im Jubiläumsfieber“ im WELTEXPRESS am 11.7.2013 erstveröffentlicht.