„Schade, dass man einen Wein nicht streicheln kann“ – Poesie in Flaschen bei Mainfrankens ‚Gastlichen Fünf’

Die katholische Wallfahrtskirche Maria im Weingarten liegt über dem fränkischen Weinort Volkach an der Mainschleife im unterfränkischen Landkreis Kitzingen. Quelle: Pixabay

Dettelbach, Gerolzhofen, Iphofen, Kitzingen, Volkach, Deutschland (MaDeRe). Kurt Tucholsky alias Peter Panter, im Herbst 1927 mit Freunden am Main nahm in Iphofen „…ein ganz verschlafenes Nest, mit sehr aufgeregten Gänsen auf den Straßen…“ Logis im „Zehntkeller“ wo er „…das ganz große Glück“ genoss und diese heiter-humorvollste Liebeserklärung an den Rebensaft uns Lesern schenkte. Das Hotel und Weingut kam nicht nur literarisch zu Ehren. 1545 fürstliches Amtshaus des Hochstiftes Würzburg, erwarb 1723 die Gemeinde das Anwesen um es samt 150 Eichen ans Würzburger Juliusspital zu übergeben mit der Auflage, dort ein Gebäude zu errichten das der Stadt „zu Dekor“ dienen sollte, dem Zentgericht als Amtssitz – bis 1850, als es in private Hände gelangte.

Seit drei Generationen im Besitz der Familie Seufert wandelte sich das Haus von Weinschenke zum ländlichen Gasthof aus dem es zu einem „Romantik Hotel“ gestaltet wurde. Das barocke Dekor siehe am prachtvollen Tor ist uns Gästen ein wahrer Augenschmaus wie auch der schmucke Garten. Die Küche, lobenswert erwähnt, bietet saisonale regionale Kost und der Keller seit 2012 beste Bio-Weine. Vielfältig weiß und rot sind im Angebot sowie Sekt und Secco. Das Gut bewirtschaftet an die 25 Hektar der Lagen Julius-Echter-Berg, Kronsberg und Kalb.

Noch nicht zu tief ins Glas geschaut packt uns die Lust das ganze Gelände mal von weiter oben zu betrachten. Aussichtspunkte, gut fast zu gut erreichbar gibt’s genug; sie sind meistens mit propren Picknickplatz bestens ausgestattet. Auf einer Zeitreise unterwegs in der Natur ist der Weinwanderer am Geschichtsweinberg. Vom Parkplatz am Julius-Echter-Berg geht es steil hinauf entlang drei von Trockenmauern aus Muschelkalk gestützten Terrassen bis zur Streuobstwiese am Waldrand. Infotafeln berichten vom Weinbau seit dem Mittelalter bis in die 1960er – und geleiten zur „Reblaus“, dem Weinbergshäuschen voll von Geschichten.

Stories erzählen auch Herr Rebstock und Frau Eiche im Städtchen. In der Geschichtsscheune hinterm historischen Rathaus werden vom „Sprechenden Stadtmodell“ rund 1300 Jahre in 12 Minuten gleich neun Episoden amüsant vermittelt – ein Projekt, welches aufhorchen lässt. Zu sehen gibt’s drinnen natürlich auch einiges, wie die Martersäule von 1515. Und draußen zwischen Rödelseer, Mainbernheimer und Einersheimer Tor lohnt der Bummel durchs beschauliche Iphofen – aber was ist denn das, doch nicht etwa – ja, eine mittelalterliche Abortanlage mit Sitz aus Sandstein und einer ins Freie führenden „Rutsche“ am Bürgerturm.

Von Iphofen über Kitzingen bis nach Dettelbach

Kurios, und lang ist’s her, also hinweg ins Moderne. Knauf, vor Ort, hat ein Museum gestiftet, die Gunst von gutem Gips ergibt Kunst – Anbau und Innenhof liegen im jetzt. Wie bei der Vinothek, wo das Motto „Wein ist Poesie in Flaschen“ auszukosten wäre. 20 Winzer-Betriebe, 300 ha mit Rebstöcken bestückt ist das Terroir. Stimmt, als „terroir f“ werden neue Landmarken im fränkischen Weinland bezeichnet die eine Weitsicht als Weinsicht vermitteln sollen. Am ersten „magischen Ort“ in der Lage Julius-Echter-Berg unterhalb vom bewaldeten Schwanberg ist die Magie bereits zu überprüfen. Der Blick immerhin reicht von einer Gastlichen Fünf zur nächsten. Von Iphofen gen Kitzingen – und mit magischen Kräften sogar gen Norden nach Dettelbach, Volkach und Gerolzhofen.

Kitzingen am Main hat als Kreisstadt viele Facetten. Der Wein ist davon nur eine, ebenso wie die Fastnacht im Museum zur fünften Jahreszeit. Nun aber im Sommer gilt es gesellig sein beim Weinfest vor der Ernte im Herbst – wenn die Wege trotz der Lese begehbar bleiben für Schusters Rappen. Da sind es eher hübsche Dörfer vom Charakter wenn auch teilweise mit Stadtrecht ausgestattet die den Gast zum Verweilen anregen – vor allem wenn sie wie Volkach das dörfliche und das miniaturstädtische Element aufs Beste vereinen.

Weintouristisch gesehen bildet die ganze ‚Volkacher Mainschleife’ mit über 20 Gemeinden und Ortsteilen eine touristische Einheit – wobei, wenn aus fünfen fünfzig werden, Rödelsee und Castell wie andere gastfreundlich im Bunde aufzunehmen sind.

Aber gemach, gemach, erst geht’s nach Dettelbach zu Ungemach. „Franz’ls Schnäpse“ werden seit 1926 kredenzt, heutzutage von Robert und Michaela Goblirsch. Der Rote Weinbergspfirsich als Likör mundete besonders lecker und erinnerte ans Kosten in der Vinothek mit Gewächsen aus den Lagen Bergrondell, Honigberg und Sonnenleite. Pilger & Wallfahrer – nicht weinselige sondern gläubige, welche seit 1505 bei Maria im Sand einkehren – sind im Museum verewigt. Auf ersten Blick ist Dettelbach mit Stadtmauer, Renaissancerathaus und alten Gassen eine Lesebuchidylle. Ende August öffnen die Winzer ihre Tore um in lauschigen Innenhöfen zu bewirten. Aber der Ort schläft nicht und ihm gelingt mit seinem ‚KuK’ die Symbiose von damals und heute, eine architektonische Verbindung vom ältesten Bürgerhaus mit ultramodernen Neubau. Ein Ort mit gelebter Tradition – wozu die Muskatzinen passen, ein Naschwerk von Urban Degen nach einer an einheimische Konditor vererbten Rezeptur, welches Wallfahrern wie Weinliebhabern seit 100 Jahren mundet. Die spezielle Form mit dem Muster gefältelter Krawatten, die der Meister gern zu tragen pflegte, gibt’s bis heute zu kaufen in der Eisenwarenhandlung Then.

Zur Volkacher Mainschleife und gen Gerolzhofen

Oben an der engsten Stelle thront auf 275 Meter die Vogelsburg, kaum einen halben Kilometer trennt hier Main von Main. Volkach liegt am Scheitelpunkt der Schleife, welche touristisch ausufert, weitere bekannte Weinorte umfasst mit namhaften Lagen so wie Nordheimer Vögelein, Escherndorfer Lump und Obereisenheimer Höll. Inmitten der Rebenreihen vom Volkacher Ratsberg birgt die Wallfahrtskirche Maria im Weinberg den bedeutendsten Schatz der Region, die Madonna im Rosenkranz (1521-1524) von Tilman Riemenschneider – wobei nur deren rechte Hand richtig der Hand des Meisters zugeordnet werden kann, sagen uns Kunsthistoriker. Seinen Schüler heißt es gebührt der Lob für den runden Rest. Das unterhalb des Chorbogens scheinbar schwebende spätgotische Schnitzwerk erlebte seine Sternstunde als es 1962 stibitzt wurde und dank des Finderlohns von Henri Nannen in Einzelteile zerlegt wieder auftauchte. Einzelne Elemente sind auch beim Betrachten interessant wie die Birne als Babynahrung vom Jesuskind links – neben der Mutterbrust rechts, natürlich.

Um die Volkacher Altstadt zu erkunden vertraut sich selbst manch Erwachsener einem Bollerwagen an, dem „Geschichtswägele“ der gezogen von kundiger Gästeführerin und bepackt mit vielen Kilos Kolorit hölzern aber heiter gestimmt durch die Gassen zieht. Im Museum sich noch einen Bocksbeutel Jahrgang 1710 genehmigen bevor das große Probieren bei den Winzern im Umland beginnt. Dabei kommen gerade Architekturinteressierte auf ihre Kosten, denn manches Gewerk ist so preiswürdig wie manches Gewächs. Märchenhaft das Weingut der Familie Hirn in Obereisenbach, eine kunterbunte Augenweide aus der Zeichenfeder von Friedensreich Hundertwasser. Horst Sauer in Eschendorf verkörpert das Credo des Winzers: Weine entstehen auch im Kopf. Die Inszenierung bis ins Allerheiligste und wie erst haptisch dann sensuell, ein Gefühl für den edlen Tropfen erzeugt wird – schlicht genial. Nebenan an der Bocksbeutelstraße ist die Vinothek der Familie Rainer Sauer ebenfalls ein Erlebnis. Eine Rebenzeile aus geschmiedeten Stäben weist den Weg, mal ist der Aufstieg entlang gegebener Böden so mühsam wie in den hiesigen Steillagen. Erstaunlich auch was die Winzer Sommerach als andersdenkende mehrfach ausgezeichnete Genossenschaft mit dem Winzerkeller umgesetzt haben – ein Treff der zum Flanieren einlädt von der „KostBar“ bis zu den Barriques. Oben residiert die Weinschule. Und: Die Liste der Locations ließe sich entlang der Mainschleife fortsetzen, hin zu Rudi und Melanie Glaser, das junge Winzerpaar bei Nordheim das frisch, frei, mutig und mit Herzblut für den Wein lebt.

Durch die Altstadt von Gerolzhofen, ein ganzes Stück abseits vom Main am Fuße des Steigerwalds aber noch im Weinland gelegen, hätte Hausmädchen Hanna, historisch gewandet, wohl Lust und Leiterwagen für den Rundgang mit kleinen kulinarischen Pausen an drei ausgewählten Plätzen. Auch der Empfang durch Markgraf Gerold, abends das Treffen mit Nachtwächtersfraa und Hebamm’, sowie zahlreiche Themenführungen stehen auf dem Programm. Der Heilkräutergarten „Nützelbachaue“ ist dabei das Terrain der „Hagesuse“ Rita Popp. Kräuterkraft, Waldwunder, Wiesenzauber – die Geheimnisse der Naturapotheke werden anschaulich erkundet und danach schmackhaft präsentiert. Aufgetischt wird mit Weinen die Gästeführer, eher Weindozenten vom „Weinerlebnis Franken“ kredenzen. Sie erzählen auch von Wanderwegen im Umland wie die „Falkenberger Hüttentour“ zu rund 50 Weinbergshäuschen in den Donnersdorfer Reben unterhalb des Zavelsteins – und der höchstgelegenen Weinlage Frankens dem Handthaler Stollberg mit 440 Metern ü. NN. Der ‚Weinweg der Erkenntnis’ führt hinauf, versteckt im Wald die Ruine Stollburg – angeblich Geburtsstätte des Walther von der Vogelweide. Wahrlich, ein Minnegesang wäre oben anzustimmen, vom reinen Wein am Main. Vom „terroir f“ – wiederum mit weitem Blick. Danach zur Gaststube Stollburg. Ganz weinselig wird der Tag ausgetrunken. Nur: „Schade, das man…“

Die gastlichen Fünf

Geschäftsstelle: Marktplatz 1, 97332 Volkach, Telefon: 0 93 81-4 01 12, Web: www.die-gastlichen-fuenf.de

Anmerkungen:

Zitate von Kurt Tucholsky (Peter Panter) aus: „Das Wirtshaus im Spessart“, Vossische Zeitung, 18.11.1927.

Vorheriger ArtikelFotoreportage: Im „African Explorer“ durch Namibia
Nächster ArtikelEinsame Spitze: das Hotel im Fernsehturm auf dem Jeschken, überragendes Beispiel tschechischer Architektur