Mit großer Geste und fröhlicher „Folie“ begrüßt die illustre Südfranzösin Montpellier ihre Gäste

Die kopflose Siegesgöttin Nike vor dem Viertel Antigone in Montpellier. Quelle: Pixabay, Foto: Kaatjem

Montpellier, Frankreich (MaDeRe). Abstand halten war angesagt, wo doch alle dieser Tage mit hoher Temperatur zu tun hatten. 42 Grad – im Schatten. Eine Hitzewelle, die selbst Montpellier als Metropole nah am Mittelmeer nur selten erlebt. Mittags blieben die weiten Platzanlagen in und besonders an „Antigone“ leer, das Halbrund Place de l’Europe verwaist; nur unter Arkadengängen sowie bei den Brunnenbecken, Bassins die teils wegen ihrer Größe zum Schwimmen einluden, herrschte ein munteres Treiben. Spät nachmittags dann am Ufer des Lez, der vom Hôtel de Ville nach Antigone führt sowie um den locker von Apartmenthäusern umgebenen See auf der anderen Flussseite. Dort drüben in „Port Marianne“ bietet sich, gut verteilt, manches Schaustück der Architektur, meistens nach der Jahrtausendwende erbaut, dem Auge des geübten Betrachters. Wahrhaft begeistert steht jedoch sogar der Laie vorm ersten der neuen „Folies“: dem „Arbre Blanc“. Schatten aber will der ‚Weiße Baum’ nicht so recht spenden. Es galt Abstand halten vor Orten unter der grellen Sonne Anfang Juli jenes Sommers 2019.

Brunnen vor dem Torbogen im Quartier Antigone. Quelle: Pixabay, Foto: faureteiva

Auch auf Exerzierplätzen des Militärstandorts Montpellier mag es wohl heiß hergegangen sein. Anstatt Kaserne dann Postmoderne: 1978 entwarf der katalanische Architekt Ricardo Bofill mit Hilfe des Geografen Raymond Dugrand im Anschluss vom „Polygone“ – dem Einkaufszentrum am Rande der altehrwürdigen Stadt – dies „Antigone“ und meißelte somit eine Vision von Georges Frêche, Bürgermeister von Montpellier seit 1977 und bis 2004, in Stein. Der sozialistische Politiker, in seiner Partei umstritten, war ein eigenwilliger Kopf. Von Beruf Uniprofessor für römisches Recht hatte er zeitlebens ein Faible für die Antike in seltsamster Form. War’s Manie? Als Präsident von Languedoc-Roussillon strebte er 2004 an, die Region umzubenennen in „Septimanie“. „Antigone“ aber entstand in den 80ern nach Plan für rund 7000 Personen, wobei 20% der Fläche für ‚Sozialwohnungen’ vorgesehen blieb. Keine Silos, keine uniform gegliederte Retorte, und mit korrekt kopfloser Replik der Siegesgöttin Nike auf dem Place de l’Europe kommt ungewollt Humor ins Spiel.

Skulptur zu Orlando Furioso am Place de l`Europe. © 2019, Foto: Christoph Merten

Nur, diese Architektur hat nichts von den bonbonfarbenen, bunt zusammengewürfelten Elementen der Postmoderne in Lissabon. Neo-Klassik ist der prägende Stil. Generell sind es sechsstöckige Bauten aus regionalem Sandstein, welche die Eintretenden bald umfangen, beinahe einschließen – von oben gesehen, formieren die Komponenten des Stadtviertels sich in Form eines Schlüssels. Überdimensionierte Bögen dienen als Tordurchgänge von einem Teil des Quartiers zum folgenden. Dort wird dann auch noch mal ein Baukörper draufgesetzt als Ausrufezeichen der Gigantomanie, grau und glatt und Glas ohne Glanz. Gewalttätig nannten Kritiker die Architektur, ja sogar: faschistisch. Klein und nichtig müssten Menschen sich fühlen, in, vor wie unter erdrückender Monotonie. Aber „Antigone“ erweist sich außerhalb der extremen Mittaghitze als belebter Ort. Also nicht nur wegen den säulenumstandenen Wasserspiele, dem Schwimmbad mit olympischen Dimensionen, ebenso die „Mediatheque“. Vielmehr tragen Bäcker, Gemüseläden, Vinotheken, Restaurants dazu bei, alles was zum Alltag gehört – von Kioske bis Kitas.

Wohnturm Arbre Blanc am Ufer der Lez. © 2019, Foto: Christoph Merten

Paradestücke weiter- und weithin wirkender Architekten liegen oder stehen im Südosten des Stadtgebiets. Das Hôtel de Ville von Jean Nouvel zählt dazu. Ebenso das „Hôtel de Region“ gegenüber vom Place de l’Europe: Fanal und Symbol des Bauherren Georges Frêche und beispielsweise das „Nuage“, die Wolke von Philippe Starck. Hervorragend in jeder Beziehung glänzt am Ufer des Lez der Wohnturm Arbre Blanc. Eingepflanzt und emporgezogen von Sou Fujimoto, Nicolas Laisné und OXO ist der „weiße Baum“ der zweite jener insgesamt elf geplanten „Folies du XX!e siècle“. Als „Folies montpelliéraines“ sind diese Landhäuser und Lustgärten gutsituierter Bürger und Adlige des 18. Jahrhunderts rund um die Hauptstadt des Languedoc bekannt, exzentrische Frivolitäten – beim Aufstieg zur Guillotine. Den brauchen Baumhausbewohner nicht befürchten. Rundum sprießen, streben Balkone wie Äste nach außen, schweben, schwingen sich schwindelerregend in die Lüfte. Wunderbar locker und leicht wirkt die Statur, filigranes Meisterstück in Weiß. Was für ein frisch-fröhliches „Folie“! Mit Sternerestaurant und Brasserie, mit Tapas-Bar im 17. auf einer der Panoramaterrassen.

Balkonien am Weißen Baum. © 2019, Foto: Christoph Merten

Leitlinie zwischen der Welt der neuen und der alten „Folies“ ist die Straßenbahn, die Design-Tram. Die Blaue 1 führt an Antigone vorbei, die Grüne 2 vom Modemacher Christian Lacroix entworfen gleitet in Richtung Mittelmeer. Das quirlige Treiben im Marché du Lez kehrt nach Corona-Zeiten hoffentlich wieder zurück. Auch die Linie 4 trägt ein schmuckes Kleid von Lacroix, sie umrundet zum Teil „L’Ecusson“ – das Wappenschild, welches in Form und Umriss der Altstadt ähnelt. Im Westen am Arc de Triomphe begrüßt das aristokratische Montpellier mit großer Geste des Place Royale de Peyrou seine Gäste wie das postmoderne im Osten der Stadt mit dem Place de l’Europe. Der Sonnenkönig hoch zu Ross macht da natürlich mehr her als eine Siegesgöttin mit ganz oben ohne. Am Kopf des von Baumreihen eingefassten Platzes thront ein kleiner Tempelbau. Das Chateau d’eau ist Wasserschloss wie Wasserturm, ein Wort- und wieder ein Wasserspiel mit dem Becken zu Füßen des Säulenrunds; abends ist das Ensemble in changierendes Licht getaucht. Es dient als Endpunkt eines Aquädukts aus Zeiten Louis XIV der gut zu sehen aber leider nicht zu begehen ist. Dafür lohnt der Blick zum Pic Saint-Loup.

Chateau d`eau: Wasserturm wie Wasserschloss am Place Royale de Peyrou. © 2019, Foto: Christoph Merten

Wer sich einem versierten Stadtführer anvertraut, der kann dem Triumphbogen in seinen Lorbeerkranz steigen und von dort auch Einsicht ins mediterrane Leben gewinnen. Bei Aglaia, Euphrosyne und Thalia, am wo sonst Brunnen der Drei Grazien auf dem Place de la Comédie – am östlichen Entree der Altstadt – trifft man sich zum Rendezvous. Montpellier ist Studentenstadt, die medizinische Fakultät der Universität feiert 2020 ihr 800jähriges Jubiläum. An die 70 prachtvolle herrschaftliche Stadthäuser sind zu bestaunen, das Hôtel Montcalm wurde Ausstellungsgebäude vom MOCO dem Zentrum für zeitgenössische Künste der „Mittelmeer-Metropole“. Da gibt es noch so viel zu entdecken, aus dem Mittelalter – wie das rituelle jüdische Bad Mikwe, wo Eingeweihte den Zugang kennen – und den Zeitläufen danach. Die „Open Air Gallery“ der Street Art entlang dem Ouai du Verdanson. Die Design-Markthalle Laissac. Der Jardin des Plantes, gegründet 1593, schön, schattig – dennoch nächstes Mal bei: 24 Grad?

Anmerkung:

Die Recherche wurde unterstützt von Ducasse Schetter PR.

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