St. Petersburg-Clearwater, Florida, USA (MaDeRe). Kunst und Küste? Der feinsandige Küstentreifen von St. Petersburg und Clearwater erweist sich als Quelle künstlerischer Inspiration.
Gibt es etwas Faszinierenderes als einen Sonnenuntergang? Wenn der blutrote Feuerball langsam im Meer versinkt und dabei alle Blicke auf sich zieht? Frühere Kulturen übertrafen sich mit mythologischen Erklärungsversuchen. Doch selbst wenn die Vorstellung einer nächtlichen Reise durch die Unterwelt heute nicht mehr geteilt wird, wohnt dem täglichen Verschwinden des glühenden Himmelskörpers unterhalb des Horizonts noch immer etwas Magisches inne. Grund genug, um sich wie „Sonnenanbeter“ an geeigneten Aussichtspunkten einzufinden und wortlos dieses kaum zu überbietende Naturschauspiel zu genießen.
Der „Sunset Point“ von Clearwater Beach an Floridas Westküste ist einer jener Orte, der die Menschen jeden Abend in großer Zahl anlockt. Er ist der Endpunkt eines soliden Holzstegs, der über den Sandstrand hinaus bis in den Golf von Mexiko hinein ragt. Am Zielpunkt angekommen, spürt der Betrachter die Kraft des intensiven Abendlichts, das jeden mit seinem flimmernden Glanz verzaubert.
Höchstmaß an Kreativität
Von diesen Segnungen der Natur profitiert natürlich auch das benachbarte St. Petersburg, kurz auch St. Pete genannt. Besonders den Künstlern kommt die tägliche Lichtfülle entgegen, die sie zu einem Höchstmaß an Kreativität anregt. In einer Galerie von vierhundert Wandgemälden verleihen sie ihrem Einfallsreichtum Ausdruck. Einer von ihnen ist der Wandmaler Derek. Ihm gelingt es umgehend, mit seinen persönlichen Erklärungen den Kunstwerken Leben einzuhauchen.
Offenbar macht ihm die nicht völlig ausgewogene Altersstruktur der Stadt zu schaffen. Und schon gar nicht mag er sich abfinden mit der spöttischen Charakterisierung St. Petes als „Wartesaal Gottes“. Trotzig hält er in seinem Werk „Weiterhin unterwegs“ dagegen mit dem Motiv einer sportlichen älteren Dame auf einem Skateboard. Gerade so, als könne sie mit ihrer schwungvollen Bewegung manchem jugendlichen Spötter den Schneid abkaufen. Noch emotionaler wird Derek vor seinem eigenen Lieblingsbild. Es ist das großflächige Porträt von Bill Woo, seinem viel zu früh verstorbenen Freund und Lehrer. Darin ehrt er ihn als herausragende Künstlerpersönlichkeit und hält damit dessen Lebenswerk präsent.
Lupenreine Schönheit
So hat das aufstrebende St. Pete das Potenzial zu einer Kunsthauptstadt Floridas, wobei hochrangige Museen diesen Ruf erweitern und festigen. Aufsehen erregt neuerdings die Sammlung des in Europa nahezu unbekannten Glaskünstlers Dale Chihuly. In abgedunkelten Räumen bringt dieser seine farbenfrohen Kreationen mit Hilfe verborgener Lichtquellen in ihrer lupenreinen Schönheit zur Geltung. Von großflächigen Blütenkompositionen bis hin zu monströs wirkenden Leuchtern aus unzähligen Einzelstücken. In einer Größenordnung, die bei der Installation sogar bauliche Sondermaßnahmen erforderlich macht.
Aus allem, so Dozentin Ruth während ihrer Führung, spricht deutlich die Freude an der ästhetischen Wirkung. Und dazu die Leidenschaft, sich handwerklich den Grenzen des Machbaren anzunähern. Nichts überlässt der Künstler dem Zufall. So verschafft sich Chihuly genügend Spielraum, um wie am Beispiel einer farbenfrohen Kugelcollage seine technische Perfektion auf die Spitze zu treiben.
Künstlerische Weltdeutung
Künstlerischer Hauptanziehungspunkt von St. Pete jedoch ist das modernistisch gestaltete Dali-Museum. Seiner architektonischen Grundidee ist zu entnehmen, dass das intensive Licht der Küste durch nichts daran gehindert werden soll, sich zu der größten Dali-Ausstellung außerhalb Spaniens Zugang zu verschaffen. Im Unterschied zu den Glasphantasien der Chihulys drängt es den Großmeister des Surrealismus immer wieder, über die ästhetische Wirkung hinaus die seinen Werken innewohnende Botschaft zu verdeutlichen.
So in seiner Kolumbus-Darstellung, die Dali selbstbewusst dazu nutzt, um seine eigene Entdeckung Amerikas zu dokumentieren. Ebenso wenig scheut er davor zurück, bei seiner Darstellung des Zweiten Vatikanischen Konzils mit der Heiligen Trinität auf dem gleichen Bild zu erscheinen und dabei so etwas wie eine göttliche Perspektive für sich in Anspruch zu nehmen.
Strand-Eldorado
Im Unterschied zu der Kunstszene von St. Pete steht in Clearwater bei pulvrig weißem Sand natürlich das Strandleben im Vordergrund. Von günstigen Positionen aus öffnet sich ein traumhafter Blick über das Strand-Eldorado, an dem sich die Badegäste bereits kurz nach Sonnenaufgang ein lebhaftes Stelldichein geben.
Mittags, wenn die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat, lädt bei bester Strandatmosphäre Frenchy‘s Rockaway Grill ein zum legendären Snack. Hauptbestandteil ist ein Sandwich mit Grouper-Füllung. Einer Fischart, die ganz in der Nähe aus dem Golf von Mexiko gefischt wird und je nach Wunsch eine unterschiedliche Zubereitung erfährt. Ein pikanter Cocktail des Hauses hebt zusätzlich die ohnehin ausgelassene Stimmung.
Trost und Hoffnung
Nachdenklich dagegen stimmt der Besuch im Clearwater Marine Aquarium, heute die Heimat der Delfindame „Winter“. Als Star der zweiteiligen Filmerzählung „The Dolphin Tale“ mit Morgan Freeman in der Hauptrolle, rührt das Tier stets neu die ihm zufliegenden Herzen. Denn einst verlor Winter durch widrige Umstände ihre Schwanzflosse, und so war nach Einschätzung von David Yates, dem Leiter des Aquariums, guter Rat teuer.
Und doch fand sich eine Lösung. Sie bestand aus einer mit hohem technischen Aufwand angefertigten Gummi-Schwanzflosse, die sich nach längerer Anpassungsphase zum Glück bestens bewährte. Bis heute bedankt sich Winter bei den kleinen und großen Kindern am Beckenrand mit flinken Sprüngen. Damit verleiht er auch vielen menschlichen Patienten Hoffnung und Zuversicht. So auch der kleinen Zoe, die wegen eines Krebsleidens mit ihren Eltern aus der Schweiz anreiste, um in ihren letzten Stunden Trost und Mitleid von Winter zu erfahren.
Schwungvolle Begeisterung
Die Delfin-Begeisterung ist auch auf den Booten anzutreffen, von denen aus Beobachter rund um Clearwater nach den Tieren Ausschau halten. Die „Sea Screamer“ als eines von ihnen ist so konstruiert, dass das Wasser beiderseits der Schiffsschraube zu einer sprühenden Gischtwelle aufgewirbelt wird. Sie bietet einer verspielten Delfinherde eine besondere Gelegenheit zu ausgelassenen Luftsprüngen.
Längt hat die Begeisterung auch Besitz ergriffen von europäischen Besuchern, die Florida ohnehin zu einem ihrer Hauptreiseziele jenseits des Atlantiks erklärt haben. Ist dies sogar ein Ansporn für die Gastgeber, auch weiterhin mit den üppigen Pfunden zu wuchern, über die Floridas milder Westen zweifellos verfügt?
Fotoreportage
Mehr Bilder in der „Fotoreportage: Küste und Kunst – Der milde mittlere Westen von Florida“ von Dr. Bernd Kregel.
Reiseinformationen Florida “St.Pete/Clearwater”:
Anreise: Tampa empfiehlt sich als Zielflughafen für Westflorida. Von dort weiter mit Mietauto, Bus oder Taxi.
Einreise: Reiepass, noch mindestens 6 Monate gültig; elektronisches Flugticket ESTA, spätestens 72 Stunden vor Abflug beantragen
Reisezeit: Ganzjährig; im Sommer jedoch hohe und feuchtschwüle Temperaturen
Unterkunft: St. Pete: The Vinoy Renaissance Hotel, Clearwater: Opal Sands Resort
Essen und Trinken: St. Pete: LOCALE Market, The Mill Restaurants, The Cider Press Café, Clearwater: Marina Cantina, Frenchy’s Rockaway Grill
Anmerkung:
Vorstehende Reportage von Dr. Bernd Kregel wurde am 2.12.2017 im WELTEXPRESS erstveröffentlicht.