Drachenritt in Chinas Zukunft – Auf dem Yangtse durchs Riesenreich der Mitte

Ein eingerahmter Fluss: der Yangtse im Riesenreich der Mitte. Quelle: Pixabay, Foto: stanbalik

Stralsund, Deutschland (MaDeRe). Das gewaltigste Dammprojekt der Erde und größtes Bauwerk Chinas seit der Grossen Mauer – ein modernes Weltwunder? Dr. Peer Schmidt-Walther ist dieser Frage nachgefahren – auf dem Gelben Fluss an Bord eines Fünf-Sterne-Schiffes.

In Tibet wird er geboren, der Jangtsekiang, kurz Jangtse, auch Yangtse geschrieben. In 5.600 Metern Gebirgshöhe entspringt der „lange Fluss“ und windet sich wie von West nach Ost. Dabei zerschneidet der „große Drache“, wie er in China genannt wird, mächtige Gebirgsketten.

In Chongqing beginnt die Kreuzfahrt flussabwärts. Zuvor steht eine Besichtigungstour von Peking und Xiang auf dem Programm sowie ein Besuch des Panda-Zoos der Yangtse-Metropole.

Für die Seh-Leute an der Reling tun sich immer wieder Highlights auf. Am ersten Nachmittag wird am Steilufer unterhalb des Shibaozhai-Tempels festgemacht. Die zwölfstufige „Edelstein-Festung“, eine rote Felspagode aus dem 18. Jahrhundert, wurde vor den steigenden Yangtse-Fluten gerettet. Der Blick von oben herab ins Flusstal ist lohnend.

Panorama-Auftakt

Am zweiten Tag nähert sich das Schiff vormittags den Großen Drei Schluchten. Als erste passiert man die Qutang- oder Blasebalg-Schlucht. Die Fließgeschwindigkeit steigert sich in dem eingeschnürten Flussbett rasant.

Fulminanter Auftakt einer Panoramafahrt ist die geradezu märchenhaft schöne Wuhan-Schlucht. Der Legende nach ist sie von Hexen bewohnt. Gesäumt wird die Felsenlandschaft durch zwölf bis zu tausend Meter hohe Gipfel.

Natur-Höhepunkt dieses zweiten Tages: ein sechsstündiger Bootsausflug in die fjordähnliche Emerald-Schlucht des Daning-Flusses. Mit einem Sampan knattern wir vorbei an bis zu tausend Meter steil aufragenden Felswänden, die überwuchert sind von Bambus, Tungöl-Bäumen, chinesischen Weiden, Eschen und Ahorn. Unzählige Vogelstimmen begleiten die Kavalkade. Stumpfnasen- und Rhesusaffen hüpfen von Ast zu Ast. An den Felswänden klebt eine Pagode, die per Fußmarsch angesteuert wird.

Technik-Höhepunkt

Die Xiling-Schlucht am dritten Tag ist die längste und tiefste unter den 200 Kilometer langen Großen Drei. 1300 Meter hohe poröse Kalksteinwände engen sie ein.

Technik-Höhepunkt: der berühmte Drei-Schluchten-Damm. Während einer Führung mit beeindruckendem Gesamtüberblick erfährt man viel Wissenswertes über das derzeit größte wasser- und energiewirtschaftliche Projekt der Welt.

Der 75 Milliarden US-$ teure Damm aus 26 Millionen Tonnen Beton oberhalb der Stadt Yichan wird der größte Staudamm der Erde – Ausgeburt von Gigantismus. Nur Chinesen können so etwas bauen, heißt es, denn das benötigte Land könne problemlos enteignet werden. Sein Rückstau wird eine maximale Breite von 100 Kilometern und eine Länge von 660 Kilometern (Entfernung München – Berlin) erreichen. Bis zu 10000 BRZ große Seeschiffe werden die fünf Schleusenkammern – kleinere können auch das Schiffshebewerk benutzen – in zwei Stunden passieren.

Sprung nach vorn und oben

Hautnah erlebt man die Schleusung an diesem dritten Tag. Über fünf Schleusenstufen wird das Schiff um 110 Meter angehoben.

Schon heute dampfen große Schleppzüge, Küstenfrachter, Containerschiffe, Autotransporter und Fähren fast 3000 Kilometer ins Landesinnere. Nicht nur die stromaufwärts gelegene boomende Industriestadt Chongqing – mit 32 Millionen Einwohnern und rund 400 Kilometern Durchmesser die größte Stadt der Welt! – profitiert von dieser Verkehrsader. Der in Europa geprägte Grundsatz „from road to sea“ wird hier mustergültig umgesetzt. Chinas Wirtschaftswunder vollzieht sich am Yangtse. Die ultimative Katastrophe für das Gebiet, finden Naturschützer und Klimaforscher, die ultimative Lösung aller Probleme, findet die chinesische Regierung. Der „nasse Highway“ verbindet dann die wichtigsten Industrie- und Handelsregionen im Riesenreich der 1,3 Milliarden Menschen. Die werden versorgt mit Strom, Konsumgütern und Fortschritt. Verhindern konnte das Projekt ohnehin niemand. Für China ist es ein weiterer großer Sprung nach vorn. Mit dem Gelingen des Projekts steht und fällt aber auch das Prestige der Kommunistischen Partei. Ihr Vorteil: Sie kann alles – ohne langwierige Prozesse wie hierzulande – nach ihren Vorstellungen durchsetzen.

Bizarre Traumkulisse

Doch wo viel Licht ist, ist auch Schatten. 30000 Hektar Ackerland werden überschwemmt, und rund 1,8 Millionen Menschen – so viel wie Hamburg Einwohner hat – müssen ihre Wohnungen verlassen und bekommen dafür 4000 Euro Entschädigung. Jetzt werden sie umgesiedelt in moderne Neubauten mit viel Komfort, die über den verlassenen Siedlungen (13 Städte und 1500 Ortschaften) entlang des braunen Flusses wie Pilze aus dem Boden schießen. Bis dahin wurde die Region alle zehn Jahre von Überflutungen heimgesucht mit jeweils tausenden von Toten. Mittlerweile hat der Pegel einen Wasserstand von rund 155 Metern über dem Meeresspiegel erreicht und soll dieses Niveau bis 2006 halten. Dann steigt er noch einmal um weitere 20 Meter. Für den Kreuzfahrtpassagier wird sich die Reise nicht wesentlich ändern. Der Schifffahrt bleiben tückische Stromschnellen und Wasserstandsschwankungen erspart. Die drei Schluchten werden, auch wenn sie dann breiter sind, kaum etwas von ihrem touristischen Reiz verlieren. Eine Kreuzfahrt auf dem Yangtse bietet noch immer Traumkulissen mit bizarr geformten Gebirgen, fjordartigen Schluchten, dichter Vegetation und abweisenden Ufern.

Seltenes Engagement

Viking River Cruises engagiert sich, wie man am vierten Flusstag in Yueyang erleben kann, im Land: In Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Tourismus soll ein historisches Gebäude vor den steigenden Fluten gerettet werden. Auch der Neubau der Grundschule von Jingzhou im benachteiligten ländlichen China wurde bereits großzügig finanziell unterstützt. Der Besuch dieser Schule ist ein Muss für jeden Passagier. Geplant sind zudem Umweltschutzaktivitäten zur Rettung der bedrohten Flora und Fauna.

Nach der Stadt- und Schulbesichtigung mit Tanzvorführungen der Schülerinnen und Schüler geht es wieder an Bord. Kulisse der Flussfahrt: beidseitige schroffe Felslandschaften.

Wem das Wasser gehört

Endpunkt unserer 1350-Kilometer-Reise auf dem „Großen Drachen“ ist am fünften Tag die 8,5-Millionen-Metropole Wuhan. Im Hubei-Museum kann man die einzigartige Sammlung antiker Glocken und Glockenspiele sowie die sechzehn Nationalschätze bestaunen.

Hier, am Zusammenfluss von Han und Yangtse, durchschwamm Mao Tse Tung 1956 den damals noch sauberen Fluss.

Durch das fruchtbare ostchinesische Tiefland wird der Yangtse schließlich gebändigt und strömt behäbig dahin. Insgesamt beherrscht er zwei Millionen km ² und damit ein Fünftel Chinas. Das entspricht der fünffachen Fläche Deutschlands. Gut 500 Millionen Menschen leben am Fluss, dessen Region damit dichter besiedelt ist als Deutschland. Weil die Straßenverhältnisse noch immer katastrophal sind, ist der Yangtse als Lebensader heute genauso wichtig wie vor Hunderten von Jahren. Eine chinesische Weisheit besagt: „Wem das Wasser gehört, dem gehört China“.

Der Flusstourismus profitiert natürlich auch davon. Unser 2003 gebaute Flussliner ist der erste der Viking-River-Cruises-Flotte, der im „Reich der Mitte“ auf Kreuzfahrt gegangen ist und neben dem Neubau „Century Sky“ das zweite Fünf-Sterne-Schiff. Auch hier möchte der Marktführer auf den Wasserstraßen Europas expandieren, seine fernöstliche Flotte auf zehn Schiffe erweitern und mehr als sechstausend Passagiere jährlich ins ferne China locken.

Atemberaubender Blick

Im einstündigen Luftsprung düsen wir von Wuhan nach Shanghai, dem Wachstumswunder mit seinen mehr als vierzehn Millionen Einwohnern. 1,5 Millionen Bauarbeiter schuften täglich auf mehr als 20000 Großbaustellen. Scheinbar im Sekundentakt werden alte Stadtviertel eingestampft, um neuen, noch größeren und phantasievolleren Wolkenkratzern Platz zu machen. Chinas heimliche Hauptstadt, der pulsierende „Drachenkopf“, frisst sich weiter durch das Mündungsdelta des Yangtsekiang, der sich als längster Strom Asiens und drittgrößter der Welt rund sechstausend Kilometer quer durch das Reich der Mitte schlängelt, gespeist von siebenhundert Nebenflüssen. Vom 468 Meter hohen Oriental-Pearl-Fernsehturm ist der nächtliche Blick auf das Lichtermeer der Weltmetropole atemberaubend.

Reiseinformationen:

Quelle: im Kun Lun Shan (Nordosten des Hochlamds von Tibet)

Länge: rund 6.000 km

Schiffbar: bis Chongqing

Mündung: bei Shanghai mit zwei Armen

Reisezeit: März bis Dezember

Anmerkung:

Vorstehender Artikel von Dr. Peer Schmidt-Walther wurde am 3.4.2010 im WELTEXPRESS erstveröffentlicht.

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