Drachen und Tiger, Meister Wu Dun Hou und der legendäre Sonne-Mond-See – Eine meditative und malerische Reise durch Taiwan

Drachenfiguren auf dem Tempel in den Löwenkopf-Bergen. © Foto: Dr. Bernd Kregel

Taipeh, Taiwan (MaDeRe). Das chinesische „Jahr der Schlange“ vermittelte im Sommer 2013 einen Einblick in das Seelenleben der Taiwaner.

„Ach, wäre es doch schon das Jahr des Tigers!“ Der fernöstliche Sehnsuchtsseufzer gilt jenem Tier, dem man in Taiwan wegen seiner kraftvollen Eleganz ohnehin uneingeschränkte Bewunderung entgegen bringt. Und nun kommt in diesem Jahr noch der Ruhm von Schiffbruch-Tiger Richard Parker hinzu, auf den man hier zu Recht besonders stolz ist. Denn schließlich entstand der großartige Filmerfolg des taiwanischen Regisseurs Ang Lee überwiegend auf seiner Heimatinsel. Was allerdings nichts daran ändert, dass man sich hier bis zum erneuten Erscheinen der gestreiften Raubkatze im chinesischen Kalender noch ganze neun Jahre gedulden muss.

Lichtermeer des Neujahrsfestes

Taiwan Lantern Festival 2013 in Hsinchu. © Foto: Dr. Bernd Kregel

Stattdessen nun ausgerechnet das Jahr der Schlange! Ein Tier, das mit seiner Unnahbarkeit und  Verschlagenheit auf der Sympathiekurve der Inselrepublik noch nie besonders punkten konnte. Und gerade dies soll man wegen der kalendarischen Vorgabe nun ein ganzes Jahr lang feiern? Ein misslicher Umstand, der genügend Anlass bietet für eine Art Hassliebe, die sich offenbar nur schwerlich verdrängen lässt.

Und doch gibt es zumindest den Versuch. Das zeigt sich deutlich auf dem Lampionfest in der Provinzstadt Hsinchu unweit der Hauptstadt Taipeh (auch Taipei geschrieben). Hier wird in diesem Jahr das zentrale chinesische Neujahrsfest der Insel pompös gefeiert in einem bunten Lichtermeer, das sich bei Einbruch der Dunkelheit in Gestalt zahlloser von innen erleuchteter Figuren üppig über den riesigen Festplatz erstreckt. Mit Motiven aus der chinesischen Mythologie und bekannten Gestalten aus der Weltliteratur und Weltgeschichte. Zweifellos ein äußerst fantasievolles Märchenparadies gleichermaßen für Kinder und Erwachsene.

Ein listiger Allerweltskerl

Zentrale Schlangenfigur beim Neujahrsfest in Hsinchu. © Foto: Dr. Bernd Kregel

Und mittendrin eine rätselhafte Figur, deren eintöniges Grau trotz ihrer riesigen Dimensionen auch jetzt noch nicht imstande ist, die Blicke der Festteilnehmer einzufangen. Denn erst gegen Ende der offiziellen Neujahrsfeier zeigt sich, was wirklich in ihr steckt. Voll gespickt mit Elektronik und Lasertechnologie setzt sie nun eine bunte Palette ständig wechselnder  Farben frei, aus deren Fülle heraus sich unverzüglich das Tier des Jahres zu erkennen gibt – die Schlange, halb aufgerichtet und wie zum Angriff  bereit. Während sie sich wie auf einer Drehbühne langsam um ihre eigene Achse dreht, schießt ein bedrohlich züngelnder Laser-Lichtstrahl aus ihrem weit geöffneten Mund. Doch ist sie es wirklich?

Denn alsbald beginnt das Untier Rauch zu speien und schlüpft in die Rolle des „kleinen Drachens“, die ihr der Volksglaube ebenfalls zugedacht hat. Etwa um die Antipathien des Publikums abzufedern? Denn mit dem Motiv des Drachens kann sich hier jeder identifizieren, wie Taiwanexperte Hsu Tzu Yi in den aufbrandenden Applaus hinein feststellt. Ist dieser doch in der heimischen Vorstellungswelt kein Geringerer als der Ahnherr aller Chinesen und somit in seiner Symbolkraft das zentrale Motiv der chinesischen Mythologie – allmächtig und allgegenwärtig, listig und lustig zugleich. In seiner Vielseitigkeit und Pfiffigkeit ein wahrer Allerweltskerl

Schemenhafte Figuren

Verspielte Tempeldächer in den Löwenkopf-Bergen. © Foto: Dr. Bernd Kregel

Bis hinein in den religiösen Bereich wie sich tags darauf bei einem Abstecher in die nahen Löwenkopf-Berge erweist. Noch liegt der Morgennebel wie eine dichte Decke über der bizarren Berglandschaft und verhüllt die verspielten Konturen der buddhistischen Tempelarchitektur. Nur sporadisch gibt er den Blick frei auf die illustren Figuren, die sich auf den Tempeldächern tummeln und zunächst nur schemenhaft ihre wahre Gestalt erahnen lassen. Doch bei durchbrechender Sonne dominieren in der Fülle der Formen und Farben die Drachengestalten, die sich auch hier als die wahren Herrscher über die chinesische Volksseele präsentieren.

Eine zauberhaft üppige Welt, die sich vor den Augen entfaltet. Und die doch nur schwerlich in die von Ernsthaftigkeit und Opferbereitschaft geprägte Welt des Buddhismus hineinzupassen scheint. In eine Sphäre der Meditation, der Hingabe und des Verzichts, wie eine freundliche Nonne am Tempelaltar in aller Bescheidenheit erklärt. Ein Widerspruch?

Verzauberte Lady Gaga

Meister Wu Dun Hou in Lugang beim Malen eines Drachenmotivs. © Foto: Dr. Bernd Kregel

„Aber nein“, beteuert Meister Wu Dun Hou, der als Malerlegende den Buddhismus schon seit vielen Jahrzehnten künstlerisch durchdrungen hat. Seine Malerwerkstatt liegt in der Küstenstadt Lugang, wo sich auf der Terrasse kunstvoll verzierte Lampions harmonisch im Abendwind wiegen.  Soeben tritt er mit einem gewinnenden Lächeln heraus auf die Terrasse seines Hauses. Längst hat er, wie er stolz gesteht, sein 90. Lebensjahr vollendet. Und doch hat das Leuchten in seinen Augen nichts von seiner ursprünglichen Intensität eingebüßt. Wie viele Andere ließ sich selbst Lady Gaga, so beweist ein Foto am Hauseingang, von diesem sympathischen Blick verzaubern.

Und natürlich auch von den kunstvollen Motiven eines 74 Jahre währenden erfolgreichen Berufslebens als Laternenmacher. So schmerzt es ihn besonders, wenn heute im Zeitalter der Massenproduktion kaum noch jemand bereit ist, einen angemessenen Preis für diese handwerkliche Kunst zu bezahlen. Was unter anderem dazu  führte, dass nur noch einer seiner fünf Söhne es wagt, sein künstlerisches Erbe  anzutreten.

Drachen-Fantasie

Meister Wu Dun Hou bei der Arbeit. © Foto: Dr. Bernd Kregel

Doch schon bei der Frage nach seinem Lieblingsmotiv beginnen seine Augen erneut zu leuchten. Ohne zu überlegen erklärt er den Drachen zu dem Motiv, an dem sich seine Fantasie stets am meisten entzündet. Und schon gleitet sein Farbpinsel über ein fast vollendetes Drachen-Kunstwerk. Vielleicht sogar eines der bei ihm vom Präsidenten Taiwans in Auftrag gegebenen Geschenke, mit denen stets ausländische Staatsgäste geehrt werden?

Mit einer liebenswürdigen Abschiedsgeste wünscht der Meister Glück für die Weiterfahrt ins Landesinnere zum legendären Sonne-Mond-See. Dieser ist, eingebettet in ein  Bergpanorama, für alle Taiwaner der Inbegriff chinesischer Landschaftsromantik. Gerade so, als würden sich in seinen Umrissen Sonne und Halbmond ein Stelldichein geben. So jedenfalls zeigt es sich beim Blick von der oberen Plattform einer vielstöckigen Pagode, die einen angrenzenden Bergrücken krönt.

Wellengang mit Schuppenpanzer

Wellenmuster auf dem Sonne-Mond-See. © Foto: Dr. Bernd Kregel

Und erweist sich dieser aus der Perspektive des „Lalu Sun Moon Lake Hotels“ am gegenüber liegenden Seeufer nicht sogar als ein lang ausgestreckter Drache? Offenbar haben die zahlreichen Saurierfunde im Fernen Osten dermaßen beflügelnd gewirkt, dass sie die Fantasie der Menschen seit Urzeiten anregen. Mit ansteckender Wirkung auch auf die Besucher. Denn selbst im Wellengang der Schiffe  auf der spiegelglatten Seeoberfläche glaubt man noch den gestreiften Schuppenpanzer eines riesigen Drachens zu erkennen.

Und dann ein jäher Wechsel von der lieblichen Landschaft hinein in die von tiefen Tälern durchzogene Hochgebirgskulisse des Zentralmassivs. Droben die Bergkuppen und drunten im Tal die in weißem Dunst brodelnden Wolkenmeere. Und als krönender Abschluss am Ende der in östlicher Richtung verlaufenden Querstraße schließlich die legendäre Taroko-Schlucht. Hoch aufragend die steilen Felswände, die streckenweise sogar den Blick zum Himmel verstellen. Und tief drunten der sich windende Fluss, dessen wilde Wasser jeden aufrechten Chinesen sogleich an einen ungestüm dahin gleitenden Drachen erinnern.

Kleiner und großer Drachen

Taipei 101-Wolkenkratzer. © Foto: Dr. Bernd Kregel

Zurück in der Hauptstadt Taipei, zeigt sich demgegenüber das Land von seiner modernen Seite, mit breiten Verkehrsadern, verführerischen Einkaufsmeilen und preisgekrönten Restaurants. Und einem unübersehbaren Wolkenkratzer, der mit seinen 101 Stockwerken aus schwindelnder Höhe den Blick freigibt auf die pulsierende Millionenstadt. Und damit auf den Kopf des kleinen Inseldrachens Taiwan, der im zurück liegenden Kräftemessen mit dem mächtigen Festlandsdrachen China nie daran dachte, ängstlich den Schwanz einzuziehen.

„Völlig zu Recht“, wie Taiwanexperte Hsu Tzu Yi beim abschließenden Stadtbummel durchblicken lässt. Denn inzwischen habe sich sein Land politisch  in einer komfortablen Mittellage zwischen den großen  Blöcken beiderseits des Pazifiks eingerichtet. So ist er für die nächsten Jahrzehnte davon überzeugt, dass der äußere tektonische Druck am Rande des Pazifischen Feuerrings sich wie üblich nur in geologischer Hinsicht bemerkbar macht.

Fotoreportage

Mehr Bilder zum Beitrag in der „Fotoreportage: Eine meditative und malerische Tour durch Taiwan“ von Dr. Bernd Kregel.

Reiseinformationen „Taiwan“:

Anreise: Die einzige Nonstop-Verbindung Frankfurt-Taipei sind die China Airlines: www.chinaairlines.de

Einreise: Es genügt ein noch sechs Monate gültiger Reisepass. Kein Visum ist erforderlich.

Reisezeit: Optimal von Mitte Oktober bis Ende April; von Mai bis September Hitze und Taifun

Unterkunft: Taipei: www.howard-hotels.com.tw, Hsinchu: www.royal-hsinchu.com.tw, Sun Moon Lake: www.thelalu.com.tw, Taroko: www.silksplace-taroko.com.tw

Auskunft: Taiwan Tourismus, Rheinstrasse 29, 60325 Frankfurt, Telefon: 069-610743, E-Mail: info@taiwantourismus.de, Website: www.taiwantourismus.de

Anmerkungen:

Vorstehender Artikel von Dr. Bernd Kregel wurde unter der Überschrift „Auf den Spuren des Drachens – Eine meditative Reise durch Taiwan“ am 13.8.2013 im WELTEXPRESS erstveröffentlicht. Die Recherche wurde unterstützt von Taiwan Tourismus.

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