Chur, St. Moritz, Zermatt, Schweiz (MaDeRe). Der legendäre „Glacier Express“ – der dieses Jahr ein 90. Jubiläum feiert – wirbt mit dem Slogan: „Der begehrteste Sitzplatz der Schweiz“. In Covid-Zeiten nicht ganz so begehrt wie zuvor – aber zweifellos der teuerste Sitzplatz der Schweiz, mit der spektakulärsten Aussicht dieses an überwältigenden Panoramen nun wahrlich nicht armen Landes: Der Sitzplatz, um den es da geht, ist einer der luxuriösen Fauteuils in der neuen „Excellence Class“ des Glacier Express – nach neun Jahrzehnten hat dieser Traum-Zug, vor dessen Panoramafenstern die höchsten Berggipfel Helvetiens majestätisch vorbei gleiten, nun wirklich den Gipfelpunkt an Luxus und Komfort erreicht. Wie alles in der Schweiz, ist auch dies beispiellos hervorragend – und nicht ganz billig: Muss man für die rund siebeneinhalbstündige Reise zwischen den berühmtesten alpinen Stationen der Schweiz, St.Moritz und Zermatt in der bereits sehr luxuriösen ersten Klasse 268 Franken (zweite Klasse: 152 Franken – und das ist angesichts des Preisniveaus der Schweizer Bahnen relativ günstig) hinblättern, kommt bei der Excellence Class noch ein Zuschlag von 420 Franken dazu.
Vergleichen lässt sich die Preisdifferenz und auch der gebotene Luxus mit dem Unterschied zwischen Business Class und First auf interkontinentalen Flügen. Denn die Art, wie man in diesen exclusiven Waggons von einer eigenen Stewardess verwöhnt wird, lässt sich sehen: Auf einem Tablet, mit hochkarätigen Sennheiser-Kopfhörern wird perfektes Infotainment geboten.
Im Verlauf der langen, aber äußerst abwechslungsreichen Bahnfahrt wird ein an Bord frisch zubereitetes köstliches Gourmet-Fünfgang-Menü, selbstverständlich mit kultivierter Weinbegleitung serviert; Pralinen, sämtliche Getränke und am Nachmittag dann Tea Time mit Kuchen ist ebenso inbegriffen wie Drinks an der futuristischen Bar im Waggon, mit riesigem (tatsächlich die Himmelsrichtung weisenden) Kompass an der Decke. Diese übrigens weckt Erinnerungen an die elegante Bar auf dem Oberdeck des zweistöckigen Airbus A380 – doch diese denkwürdigen Erlebnisse, beispielsweise auf Langstreckenflügen nach Australien, könnten bald nur noch Erinnerungen sein. Die phänomenale, im Winter 2019 lancierte Excellence Class des Glacier Express bleibt uns hoffentlich noch lange erhalten – so wäre es ihr zu wünschen, obwohl in Covid-Zeiten mit dem Fernbleiben der Gäste aus den USA und Asien der Waggon nicht wie bei der Einführung dieser Luxus-Klasse zu 56 Prozent gebucht wird. Nicht nur die Passagiere der Excellence-Class sondern auch jene der ersten und zweiten Klasse können auf ihren Sitzplätzen à la Carte Speisen und Getränke bestellen; diese sind allerdings im Fahrpreis nicht inbegriffen.
Schon die erste Etappe dieser Bahnfahrt, zwischen St.Moritz und Chur, ist schlichtweg spektakulär: Seit Juli 2008 gehört diese 1903 erbaute Strecke (gemeinsam mit der ebenfalls atemberaubenden Bernina Strecke zwischen St.Moritz und dem italienischen Tirano) zum Unesco-Weltkulturerbe, und man versteht rasch, weshalb. Die Kehrtunnels, die es den Zügen erlauben, auf geringstem Raum und mit engsten Kurvenradien enorme Höhenunterschiede zu überwinden gehören zu den beeindruckensten Eisenbahn-Ingenieursleistungen des Erdballs, noch wesentlich imposanter als die Kehrtunnels der (alten) Gotthard-Strecke. Unter den atemberaubend schönen Viadukten, die tiefe Schluchten überwinden, ragt das weltberühmte; 65 Meter hohe, 138 Meter lange Landwasser-Viadukt hervor, das direkt in den Tunnel einer senkrecht abfallenden Felswand führt.
Leider kann man vom Glacier-Express aus den Ausblick auf den weltberühmten, in den letzten Jahrzehnten leider arg geschrumpften Rhone-Gletscher nicht mehr genießen (für mich seinerzeit einer der Höhepunkte dieser Reise – denn heute fährt die Bahn durch den im Juni 1982 eröffneten Furka-Basistunnel. Dieser leistet die unerlässliche ganzjährige Verbindung zwischen Graubünden und dem Wallis und damit auch erstmals den Ganzjahres-Betrieb des Glacier Express. Die winterliche Reise durch die tief verschneite Schweizer Alpenwelt ist überwältigend – und womöglich noch faszinierender als diese Route mit ihrem geografischen Höhepunkt Oberalppass (2033 Meter über Meer) im Sommer.
Dieses Jahr begeht der Glacier Express sein 90jähriges Jubiläum. Bereits im Juli 1891 wurde die mit Dampf betriebene Bahnlinie zwischen der Walliser Ortschaft Visp und dem (nach wie vor autofreien) Alpinistendorf Zermatt eröffnet, im August 1912 erfolgte die nächste Etappe zwischen Chur und Disentis. Langsam wuchsen die Bahnlinien zwischen Graubünden und dem Wallis zusammen: Nach einem kriegsbedingten Unterbruch kam im Juli 1926 die Strecke zwischen der Walliser Ortschaft Brig und dem Bündner Ort Disentis mit seinem berühmten Kloster dazu und seit dem Juni 1930 war die letzte Etappe zwischen Visp und Brig fertiggstellt.
Damit war nun erstmals die Bahn frei für den ersten Glacier Express zwischen Zermatt und St.Moritz – eine Fahrt die damals noch 11 Stunden dauerte und mit Dampflokomotiven durchgeführt wurde. Erst im Juni 1941 wurde die Strecke Brig-Disentis elektrifiziert. Schon damals war die Nachfrage enorm: in der kurzen Betriebszeit des Bergsommers, von Juli bis September, beförderte der „langsamste Expresszug der Welt“, wie er sich selbstironisch nennt, immerhin 20 000 Fahrgäste. Wegen der enormen Schneemengen und der damit verbundenen Lawinengefahr musste allerdings der Glacier Express jeweils zwischen Mitte Oktober und Anfang Juni den Betrieb einstellt. 1968 wird der Zug in sein neues Markenzeichen gehüllt – ein einheitliches, markantes Rot. Und im Juni 1984 lancierte der Glacier Express auf dem Schweizerischen Bahn-Netz eine Pionierleistung: Erstmals konnten Fahrgäste eine Einzelplatzreservierung durchführen – damit war man den Bundesbahnen SBB eine Nasenlänge voraus. Neues Rollmaterial mit noch komfortableren Panorama-Waggons wurde eingeführt, ein hochmedernes Infotainment-System wird nach und nach eingebaut . Im Jahr 2019 wurde der alte Passagier-Rekord übertroffen – der Express registrierte 257 810 Fahrgäste.