Auf königlich-englischen Wasserpfaden – ein Hausboot-Törn auf der Themse

Hausboote auf der Themse. Quelle: Pixabay, Foto: Dawn Sinclair

London, England, VK (MaDeRe). Das schneeweiße fast 13 Meter lange Hausboot lässt das Herz jedes Charterboot-Kapitäns und seiner Crew höher schlagen.

Vom der an Oberdeck gelegenen Brücke, der „Flying bridge“ – da hat man Überblick! – dirigiert der Skipper „seinen Dampfer“. Als hätte er das schon immer getan. Dabei hat „Fahrschullehrer“ Robert ihm – auf Englisch natürlich – in nur knapp drei Stunden eine Lektion erteilt: wie man Hausboot fährt. Eine Übungsrunde gehört auch dazu.

Um das An- und Ablegen unfallfrei zu bewältigen, sollte jeder bei der Einweisung während der Boostübergabe besonders aufpassen. Denn wenn die in ihrer Leistung gedrosselten Boote auch keinen Bootsführerschein erfordern – ohne gründliche technische Einweisung geht es nun mal nicht. Ein Boot ist kein Auto und reagiert nach den physikalischen Gesetzen der Trägheit.

Elegantes Drehmanöver

„Klar vorn und achtern!“, gibt der Skipper von oben herab schließlich das Kommando. Die „Vollmatrosen“ Blacky und Bernhard lösen die Leinen, die sie vorher unter Anweisung fachmännisch festgemacht haben. Der „Kopfschlag“ klappt nach einigem Probieren. Beim Abwärtsschleusen braucht man ihn nicht. Da müssen Vor- und Achterleine locker durch die Hand gleiten. „Sonst hängt Ihr Euch auf“, hat Robert grinsend gewarnt, „da hilft dann nur noch ein Küchenmesser, um die Leinen zu kappen“.

Zentimeter um Zentimeter schiebt sich die „Classique Star“ aus der Parklücke der Marina Penton Hook. Das Hart-Backbord-Drehmanöver gerät etwas zu „elegant“, so dass ein Baum am Ufer Äste (an Deck) lassen muss. Aber dann: Stopp schon nach rund 400 Metern um die Ecke. Die erste Schleuse, Prüfstein für die Crew. Nur Mut, Freunde! Siehe da, das Einlaufmanöver klappt schon ganz ordentlich. Ein leichtes Rummsen beim Festmachen? Hat niemand gehört. Und der Schleusenwärter lächelt dazu. Er kennt seine Pappenheimer. Freundlich erklärt er die Bedienelemente der Schleuse – falls der Kollege nicht mehr da oder verhindert ist. Der Mann mit den gemütlichen Rundungen hat Zeit und gibt uns noch Tipps für den ersten Übernachtungsplatz. Die Sonne vergoldet den Fluss. Auch das ist gut für die Einstiegsstimmung.

Ein Blick auf Burg beziehungsweise Schloss Windsor über der Themse. Quelle: Pixabay, Foto: H. Hach

Majestätisches Selbstvertrauen

Ein paar Kilometer weiter, dann kommen an Backbord graue Türme und Zinnen in Sicht. Ein Bobby mit Helm und Land-Rover hält einsam die Wacht an der Themse. Schilder verkünden „Royal property“ – königliches Territorium, „no mooring“ – Anlegen nicht erlaubt. Über Schloss Windsor flattert der königliche Stander. Her Majesty sind auf ihrem Lieblingsschloss zu Besuch. Der Bobby grüßt lässig zurück, beobachtet uns aber scharf.

In dem gegenüberliegenden Ort Datchet wird vorwärts zwischen anderen Booten eingeparkt. Problemlos lässt sich der schnittige „Liner“ an die Wartepfähle legen. Wer hier mit PS statt Gefühl agiert, der havariert. Die „Classique Star“-Crew hat das schon längst kapiert, und das Selbstvertrauen in maritime Fähigkeiten steigt.

Dank Frischluftkur schieben alle Vier einen „fürchterlichen Kohldampf“. Da muss Sofortabhilfe her. So bleibt die Bordküche heute kalt und wir stiefeln an Land. Beim Italiener speisen wir königlich. Zufrieden und satt fallen die Neuseeleute in ihre gemütlichen Kojen.

Mit Tüten und Taschen bewaffnet wird am Morgen der nächste Supermarkt angesteuert. Nicht ohne dass der Skipper zuvor in den Themsefluten abgetaucht ist. „Zur Erfrischung“, wie er anschließend leicht bibbernd sagt. Die anderen an Bord haben ihre warmen Duschen vorgezogen.

Erst mal heißt es Verpflegung bunkern für drei bis vier Tage. So lange wollen wir auf der Themse von Chertsey westlich des Flughafens Heathrow bis hinter Henley unterwegs sein. Ein rund 60 Kilometer langer, mit 15 Schleusen bestückter Schnupperkurs auf Englands „beliebtestem und schönsten Fluss“, wie ein Gewässerführer informiert. Insgesamt könnte man ihn auf gut 300 Kilometern als Hausboot-Skipper ohne Patent befahren. Mit verlockenden Aussichten, wie Karten und Routenplaner versprechen.

Boote auf der Themse. Quelle: Pixabay, Foto: berger anja

In: Schleusen-Theater

Frühstück im Salon. Der duftet herrlich nach frischem Kaffee, Brötchen, Eiern und Speck. Und dazu Schloss Windsor samt Park gratis dazu. Am Vormittag wollen sie es mit eigenen Augen sehen, das königliche Anwesen und die prächtige Wachablösung der Bärenfellmützen-Garde. An einer Wiese wird festgemacht. Zwei Eisenheringe in den Boden gerammt, die Leinen durch die Ösen gefädelt und an Bord belegt. Fertig zum Landgang. Über die „Classique Star“ zieht brummend ein Airbus A 380 hinweg. Als würde das weltgrößte Flugzeug der kleinen „Classique Star“ seine Reverenz erweisen. Ruderboote mit College-Studenten – Eton liegt einen Steinwurf entfernt – bevölkern den Fluss. Man nimmt Rücksicht auf sie, was dankbar quittiert wird.

Hin und wieder kommt man an den Liegeplätzen mit Wanderern ins Gespräch, die sich den idyllischen Themsepfad parallel zum Fluss vorgenommen haben. Ein besonderes Vergnügen ist offenbar das „Schleusengucken“ für sie. Die Zuschauergalerien sind überall gut belegt. Sonniges Themse-Theater, wobei Hausboot-Skipper die Akteure geben, deren Manöver anscheinend zu „spektakulären Dramen“ geraten können. Nicht bei uns!

Mittagspause im Städtchen Marlow bei Macdonald. Nicht doch, kein Fastfood, sondern britisch vornehm im „Compleat Angler“. Macdonald heißt nur der Besitzer. Das gediegene historisch bedeutsame Etablissement besuchte auch schon die Queen. Das war 1999 – und ihr erster öffentlicher Restaurantbesuch. „Da legen wir an, direkt an der Terrasse“, entscheidet der Skipper, „als ´Classique Star` steht uns das zu“.

Neugierige Seh-Leute

Feierabend nach sieben Stunden Dieseln mit 68 PS. Neben prächtigen Landsitzen, kuscheligen Dörfern säumt immer mehr Natur pur den Kurs. Greifvögel, Reiher, Eisvögel, aber auch Kühe mögen den Fluss.

In erster Linie haben in diesen frühlingshaften Tagen Revier samt Boot gereizt: Englands Fluss par exellence per „Luxusliner“. „Das Gewässer bildet ein abwechslungsreiches Landschaftsbild“, so der Bootsatlas, „da kaum einer der zahlreichen Flussmäander samt dessen Saumlandschaft dem anderen gleicht“. Das hat neugierig gemacht. Vor- und Nachsaison eignen sich am besten für eine Schnuppertour. „Im Hochsommer müsst ihr euch vor den Schleusen auch schon mal auf längeres Warten gefasst machen“, warnt später ein Schleusenmeister. Abgesehen von weniger Ruhe und höheren Charterraten.

Ein munterer Ostwind hat den Flusssspiegel aufgeraut. Frisches Waldgrün in verschiedenen Schattierungen spielt Horizont. Zwischen den Stämmen drängeln sich Freizeithütten ans Licht, zahlreiche Boote dümpeln noch verlassen an den Stegen. Fliederdüfte liegen in der Luft.

Das weite Wiesenufer vor Henley lockt zum Übernachten. Aber auch ein Rundgang durch das fußläufige idyllische Örtchen. Der „Sundowner“ – in Form von ein oder zwei Pint Bier oder rauchig-torfigem Whisky – in einem typischen Pub muss einfach sein.

Heute schmurgelt es etwas später in der Kombüse. Lisa und Bernhard stehen am Herd und spendieren schon mal ein Glas Rotwein als „Appetizer“. Leckere Düfte lassen Gaumenfreuden ahnen. An den Abwasch denkt noch keiner.

Die Themse in Henley. Quelle: Pixabay, Foto: RCRO

Honigmond blinzelt

Der Abend klingt am frühen Morgen aus bei Kerzenschein im gemütlichen Salon. „Wie klar der Sternenhimmel ist“, sinniert Blacky im Dunkel des geöffneten Salondachs. Leise plätschern Themse-Wellen gegen den Rumpf – eine traumhafte Einschlafmelodie in kuschligen Kojen. Der Wind lässt die Blätter rauschen, durch die der Honigmond blinzelt.

Ein ruppiger Wind spielt mit dem Boot, das sich am Ufer schubbert. Die Leinen knarzen dazu. „Restaurant mit See- und Grünblick“, kommentiert Bernhard, „so was hab´ ich auch noch nicht erlebt“. Kuckuck und Nachtigall schicken ihre Melodien vom Wald her über das Gewässer.

Am Morgen tröpfelt Regen gegen die Scheiben. Trocken und warm läßt sich´s vom unteren Fahrstand aus navigieren – mit Panoramablick auf Wälder, Wiesen und Felder. Im zehn-Kilometer-„Tempo“ tuckern wir dahin. Später lacht auch wieder die Sonne dazu.

Die Chilterns. Quelle: Pixabay, Foto: TheOtherKev

Geruhsam steuern wir durch die malerische Landschaft mit den sanften Buckeln der Chiltern Hills an Steuerbord. Die Langsamkeit wiederentdeckt zu haben, ist allen bewusst. „Nur so saugst du diese Eindrücke auf“, meint der Skipper und drosselt den Diesel auf lärmarme und sparsamste Touren.

Ein südseereifer Sonnenuntergang – „fehlen nur noch die Palmen, statt dessen Pappeln!“, grinst Bernhard – macht uns den Abschied, der unwiderruflich droht, schwer. Der romantisch beleuchtete Himmel erinnert an Werke des großen englischen Malers William Turner.

Noch zehn Kilometer bleiben Tags darauf bis zum Anlegen. „Ich hab´ mich so an das entspannte Fahren und Schauen gewöhnt“, gesteht Lisa, „da könnte ich glatt weitertuckern“. Blacky sieht die Reise globaler: „Aus der Wasserperspektive hast du eine andere Weltsicht, irgendwie erscheint einem alles freundlicher und schöner“.

Da freut der Skipper sich, hier „richtiger Kapitän“ gewesen zu sein.

Anmerkung:

Siehe auch die Reportage „Eine Bootstour auf der Themse durch Midsomer“ von Christoph Merten.

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