Lebensabend im Burgschatten – Rings um das ostfränkische Schloss Stetten dient ein ganzes Dorf als Altersresidenz

Schloss Stetten. © Touristikgemeinschaft Hohenlohe, Foto: Hannelore Kämmer, Künzelsau

Schloss Stetten, Baden-Württemberg, Deutschland (MaDeRe). Eine schmale Allee führt bergauf. Linkerhand ergeben sich immer wieder Blickachsen auf die alte Burg, die in der Höhe auf einem Felsensporn thront. Unten im Tal zieht der Kocher, ein Nebenfluss des Neckar, seine Schleife.

Schloss Stetten, gelegen im Hohenlohekreis des nordöstlichen Baden-Württembergs, gilt als eine der besterhaltenen Staufer-Anlagen. Bereits im Jahre 1098, zu Lebzeiten von Kaiser Friedrich Barbarossa, wurde mit dem Bau begonnen. Vor feindlichen Eindringlingen schützten ein 13 Meter tiefer Graben, vier Türme und ein Bergfried. Doch die Zeiten ändern sich: Heute ist der Burggraben Kulisse für die Künzelsauer Burgfestspiele.

Seit jeher wird das massive Gemäuer von den Freiherren von Stetten bewohnt. Die blieben lange unter sich. Bis Wolfgang von Stetten, auch CDU-Bundestagsabgeordneter, 1983 an diesem Ort ein Altersheim errichtete. Er ließ die Wirtschaftsgebäude rund um die Burg sanieren und in Seniorenwohnungen umbauen. Neubauten kamen hinzu, so dass nun die 250 Bewohner der „Residenz Schloß Stetten“ wie in einem Dorf leben, zwischen Gärten und Obstwiesen.

Türme zu Schloss Stetten. © Touristikgemeinschaft Hohenlohe, Foto: Hannelore Kämmer, Künzelsau

Franziska von Stetten, Tochter des Gründers, ist inmitten der Senioren aufgewachsen. „Die ältesten Bewohner kenne ich schon seit meiner Schulzeit“, meint die 40-Jährige, die als Geschäftsführerin der Residenz tätig ist. Voller Enthusiasmus und Anteilnahme erzählt sie von ihrer Arbeit: „Wir stellen den Bewohnern ein ganzes Dorf zur Verfügung. Mit allem, was dazu gehört. Vom Tante-Emma-Laden über den Arzt bis hin zu Bank und Friseur.“

Alle Gebäude wurden nach Vorfahren der Adelsfamilie benannt. So übernimmt „Haus Hermann“ die Funktion des dörflichen Marktplatzes. Hier befinden sich die Speisesäle, Schwimmbad und Sauna, Kegelbahn und Veranstaltungsräume.

Den größten Vorteil einer dorf-ähnlichen Anlage sieht Franziska von Stetten darin, dass die älteren Herrschaften aus den eigenen vier Wänden gelockt werden. „Jeder hat jeden Tag einen guten Grund und Anlass, das Haus zu verlassen“, meint die Geschäftsführerin. So wird das Mittagessen nicht in die Wohnung geliefert, sondern man macht sich zurecht, geht vor die Tür und steuert Haus Hermann an.

Begeistert zählt Franziska von Stetten die diversen Freizeitaktivitäten in der Residenz auf: Die Senioren musizieren in der „Stetten Oldie Band“, singen im Chor, spielen Boule, lernen Englisch oder treiben Wassergymnastik. Sie werden nicht bespaßt, sondern legen sich selbst ins Zeug. Wer eine besondere Fähigkeit hat, bringt sie anderen bei. Franziska von Stetten schwärmt von einem „tollen Miteinander“. Die jüngeren Bewohner würden sich um die Älteren kümmern.

Ein großer Teil des Burg-Erdgeschosses ist für alle zugänglich. Hier erstreckt sich eine umfangreiche Bibliothek über mehrere Räume und einen langen Flur. Außerdem gibt es einen Musiksaal, in dem man üben oder kleine Konzerte geben kann.

Ein Markenzeichen der Residenz die Tierliebe. „Mein Vater hat von Anfang an eingeführt, dass auch Hunde und Katzen einziehen dürfen. In den Achtzigern war das ein absolutes Alleinstellungsmerkmal“, erzählt Franziska von Stetten. Da der Vierbeiner oft das engste Bezugswesen ist, liegen die Vorteile auf der Hand. „Das Tier sorgt für Freude und Kommunikation, es stiftet eine Aufgabe und liefert einen Grund, mobil zu bleiben“, sagt die Geschäftsführerin. „Bei uns lebt eine 99-Jährige, die jeden Tag fünf Kilometer mit ihrem Hund läuft.“

Die Bewohner bleiben aber nicht nur zu Fuß mobil. Öffentliche Busse und ein hauseigener Transportservice verbinden Stetten mit der Kreisstadt Künzelsau, die mit einer beschaulichen Fachwerk-Fußgängerzone und einer hübschen Uferpromenade am Kocher aufwartet.

Manchmal unternehmen die Bewohner gemeinsame Ausflüge durch die malerischen Hügel, Wälder und Weinäcker von Hohenlohe. Zum Beispiel zu den Konzerten des Hohenloher Kultursommers, der die zahlreichen Burgen, Schlösser und Kirchen des Landkreises bespielt.

Franziska von Stetten liegt aber auch viel daran, dass sich die Bewohner in kulinarischer Hinsicht wohlfühlen. „In unserer Küche bereiten wir alles selbst, jeden Tag frisch. Wir schaben auch unsere Spätzle und kochen Knochen für die Saucen aus“, sagt sie. An Sonntagen gibt es dazu ein Gläschen Wein aus hauseigenem Anbau.

Ein luftiger Blick auf Schloss Stetten mit Dorf. © Residenzen Schloß Stetten

Was kostet nun der Lebensabend im Schatten der Burg? Franziska von Stetten spricht von einem „wirklich guten Preis-Leistungs-Verhältnis“. Der Werbe-Prospekt verrät: Die kleinste Wohnung ist für 1700 Euro zu haben – Warmmiete plus Betreuungspauschale. Kaufen kann man aber auch.

Als christliche Einrichtung versteht sich Schloss Stetten nicht. „Wir fühlen uns aber den christlichen Werten verpflichtet“, sagt Franziska von Stetten, deren Vorfahren seit der Reformation Lutheraner sind. „Jeder darf sich hier im Glauben getragen und in der Gemeinschaft aufgehoben fühlen. Ob und wie jemand glaubt, spielt dabei jedoch keine Rolle. Wir haben auch anthroposophische oder neuapostolische Bewohner, oder aber Atheisten.“

In der alten Burgkapelle finden regelmäßig ökumenische Gottesdienste, Bibelkreise und hin und wieder ein Konzert des Hohenloher Kultursommers statt. „Auch die Feiertage verbringt hier niemand allein“, ergänzt die Geschäftsführerin. „Weihnachten feiern wir alle zusammen unterm Christbaum.“

Das Abschiednehmen und Sterben sind hier naturgemäß Teil des Alltags. Die Einrichtung verfügt über eine eigene Kranken- und Pflegestation, eine Betreuung für Demenzkranke sowie ein Hospiz. Außerdem gibt es zwei Friedhöfe. „Wir wollen Jedem den letzten Wunsch erfüllen“, erzählt Franziska von Stetten. „Vor kurzem hat sich ein Bewohner eine Jazzband für seine Beerdigung gewünscht. Wir waren erst skeptisch, aber dann wurde es doch eine sehr schöne Feier.“

Und was die Vierbeiner betrifft – nach dem Tod von Herrchen oder Frauchen findet sich meist ein Nachbar, der das Tier übernimmt.

Anmerkung:

Vorstehender Artikel von Antje Rößler wurde am 28.9.2017 im WELTEXPRESS erstveröffentlicht.

Vorheriger ArtikelFotoreportage: Mit Karl May auf der Fährte des Apachen
Nächster ArtikelKalabrien, Weinland der Antike – Eine Revolution, die allen schmeckt