Navarra, Nafarroa, Spanien (MaDeRe). Ist er es wirklich? Lässig lehnt er mit seinem rechten Ellenbogen an der Bar und fügt sich stehend ein in die Schar der Gäste, die hier ihren Roten oder einen Cocktail nach Art des Hauses zu sich nehmen. Erst auf den zweiten Blick entpuppen sich die ins Halbdunkel getauchten Gesichtszüge von Ernest Hemingway als die Konturen einer lebensgroßen Bronzestatue, die hier im „Café Iruna“ die Erinnerung wach hält.

Die Erinnerung an das Jahr 1959, in dem er vor genau fünfzig Jahren die spanische Stadt Pamplona am Südrand der Pyrenäen zuletzt mit seinem Besuch beehrte. Und natürlich an das Jahr 1923, als er erstmals hier erschien, um den „Sanfermines“ beizuwohnen. Jenem illustren Fest zu Ehren des Heiligen Fermin, an dessen Höhepunkt eine ungezügelte Stierherde in wildem Ungestüm eine lebhafte Schar junger Männer vor sich hertreibt. Nur bewaffnet mit einer zusammengerollten Zeitung versuchen die Läufer in einer Mischung aus Wagemut und Tollkühnheit den hämmernden Hufen und den auf sie gerichteten spitzen Hörnern geschickt auszuweichen – nicht immer mit Erfolg.

Hemingway-Statue im “Café Iruna” in Pamplona. © Foto/BU: Dr. Bernd Kregel, Aufnahme: Navarra, Pamplona, 22.9.2009

Rauschhafte Ekstase

Mit seinem Buch „Fiesta“ setzte Hemingway diesem wilden Treiben nicht nur ein literarisches Denkmal. Zugleich erhob er es auch in den Status eines Mythos, zu dessen persönlichem Nachvollzug alljährlich Anfang Juli viele tausend Besucher in die herausgeputzte Hauptstadt von Navarra pilgern. Zu jenem Fest der überschwänglichen Lebensfreude, die mit Tanz und ausgelassener Musik vor allem nachts in eine unaufhaltsame, ja rauschhafte Ekstase einmündet.

Tolle Tage, ähnlich anstrengend wie andernorts der Karneval. So ließ Hemingway es sich nicht nehmen, sich anschließend zur Erholung in die Abgeschiedenheit der nördlichen Bergregion zurückzuziehen, um dort am Rande des nahezu undurchdringlichen Urwalds von Irati in einem schäumenden Gebirgsfluss ungestört Forellen zu fischen. Nur verwöhnt von einem jungen Mädchen aus dem nahen Dörfchen Aribe, das seine selbst gewählte Einsamkeit täglich mit einem randvoll gefüllten Picknickkorb auflockerte. Ein paar Fläschchen Bier, so heißt es, seien stets dabei gewesen. Ein Leben, wie für ihn gemacht!

Pilgerinnen auf der Plaza del Castillo in Pamplona. © Foto/BU: Dr. Bernd Kregel, Aufnahme: Navarra, Pamplona, 22.9.2009

Pilgerweg nach Santiago

Und somit völlig verschieden von den Anstrengungen der Pilger auf dem in unmittelbarer Nähe vorbeiführenden Jakobswanderweg. Vom französischen St.-Jean-Pied-de-Port windet er sich über die Pyrenäen, um schließlich in Roncesvalles seinen spanischen Ausgangspunkt zu erreichen. Eine 25 Kilometer lange Strecke, die bei klarem Wetter eine geradezu himmlische Aussicht verspricht, bei dichtem Nebel und nieselndem Sprühregen jedoch bereits eine erste Herausforderung darstellt. War das unbekümmerte „Ich-bin-dann-mal-weg“ nicht doch etwas zu voreilig?

Da hilft es schon ein wenig, sich höheren Beistands zu versichern. Besonders am Standbild des Heiligen Jakobus in der Stiftskirche von Roncesvalles, in der die dort amtierende Geistlichkeit zur abendlichen Pilgermesse einlädt und in vielen Sprachen ihren Pilgersegen erteilt. An zentraler Stelle unter einem kleinen Metalldach zieht zudem die in silbernem Glanz erstrahlende Madonna die verunsicherten Blicke auf sich. Sollte man sie nicht doch lieber darum bitten, unterwegs ihren schützenden Mantel auszubreiten? Denn der Weg nach Santiago ist lang und sicherlich nicht ohne Tücken.

Brücke „Puente la Reina“. © Foto/BU: Dr. Bernd Kregel, Aufnahme: Navarra, 18.9.2009

Puente la Reina

„Auf und voran!“ heißt am nächsten Morgen die Devise. Erstes größeres Ziel, mitten in Navarra, ist nach Pamplona die „Puente la Reina“, jene mittelalterliche Steinbrücke, an der die beiden französischen Pilgerwege gabelförmig zusammentreffen. Fortan gibt es nur noch einen Hauptwanderweg, um das angestrebte Ziel im fernen Galizien zu erreichen, immer westwärts und parallel zur spanischen Nordküste. Ab hier tut jeder entschlossene Pilger gut daran, sich der sportlichen Herausforderung zu stellen und, auch das gehört dazu, sich für spirituelle Erfahrungen offen zu halten.

Doch Navarra ist mehr als das Tor zum Jakobsweg. Für europäische Verhältnisse mit 500.000 Einwohnern ungewöhnlich dünn besiedelt, hält die spanische Provinz genügend Platz bereit für malerische Naturlandschaften und – aufgrund des sich im Süden ankündigenden mediterranen Klimas – für ausgedehnte Wein-Anbaugebiete. Das Weingut Otazu südlich der „Puente la Reina“ überrascht mit einem Weinkeller der Extraklasse, einem der zwanzig schönsten weltweit. Mit seinen unterirdischen Gewölben wirkt er wie eine Weinkathedrale, in der in endlosen Reihen von Barrique-Fässern die Spitzenweine der letzten Jahrgänge heranreifen. Dafür verbürgt sich der junge Chef des Anwesens, Javier Banales Vanes, bei einer genussvollen Weinverkostung.

Felsformation der „Bardenas Reales“. © Foto/BU: Dr. Bernd Kregel, Aufnahme: Navarra, Bardenas Reales, 19.9.2009

Bardenas Reales

Doch Eile ist geboten. Denn Mitte September wartet das weiter südlich gelegene Städtchen Olite auf mit seiner eigenen Fiesta. Nicht so pompös wie in Pamplona, doch ähnlich ausgelassen mit einem musikalischen Nachtprogramm, dem morgendlichen Viehauftrieb und, eine Besonderheit, dem „Tanz der Giganten“. Überdimensionale, königlich gekleidete Puppen, die von versteckten Trägern mit beschwingten Bewegungen und doch in Schwerstarbeit durch die Gassen getragen werden. Am Tanzplatz neben dem spektakulären gotischen Schloss begeistert sich dann das Publikum bei rhythmischer Musik an den gesetzten Schreittänzen der Zweier- und Viererkombinationen.

Auch nach der Fiesta von Olite lockt zur Erholung die Einsamkeit. Diesmal in den „Bardenas Reales“, einer ausgedehnten Wüstenregion im Südzipfel von Navarra. Hier hat auf dem Grund eines urzeitlichen Sees die Baumeisterin Natur mit Hilfe der Erosion überaus ausgefallene Formationen und Figuren geschaffen. Als riesige wellenförmige Faltenmuster fließen sie senkrecht die Berghänge hinab oder wachsen als monumentale geologische Kunstwerke steil hinauf in den Himmel.

Palast des Javier. © Foto/BU: Dr. Bernd Kregel, Aufnahme: Navarra, 20.9.2009

Kastell des Javier

Einfache und zugleich überzeugende Kunst bieten nicht weit entfernt auch die Mönche der Klosteranlage von Leyre an der östlichen Grenze nach Aragon. In einer eindrucksvoll schlichten romanischen Klosterkirche bringen sie, über den ganzen Tag verteilt, mit ihrer andachtsvoll vorgetragenen Gregorianik vielfältige innere Saiten bei den Besuchern zum Schwingen. Und demonstrieren dazu täglich neu ihr „Bete und arbeite“, wie es die alte Regel des Mönchsvaters Benedikt vorschreibt.

Nur ein paar Kilometer entfernt von Leyre thront mächtig das Kastell des Javier. Eine bilderbuchartige Festungsanlage, in der an der Schwelle zur Neuzeit der legendäre Francisco Javier aufwuchs, der einst zusammen mit Ignatius von Loyola den Jesuitenorden gründete. Seine Missionsreisen, so zeigt eine ansprechende Ausstellung in den renovierten Innenräumen, führten ihn sogar über Indien hinaus bis ins ferne Japan. Wie sehr er hier von allen verehrt wird, beweisen die männlichen Vornamen der Region, die zur Hälfte genauso lauten wie die des längst heiliggesprochenen Vorbilds.

Schlucht von Lumbier. © Foto/BU: Dr. Bernd Kregel, Aufnahme: Navarra, Lumbier, 20.9.2009

Geier im Aufwind

Im Kontrast zu diesem kunstvollen Bauwerk dann wieder das Naturerlebnis der Schlucht von Lumbier. Hier umrahmen hohe Felswände einen wild dahinströmenden Fluss und bilden für den Wanderer aus der Froschperspektive eine grandiose Kulisse. Diese wird noch überhöht durch die Silhouetten der zahlreichen Geier, die sich mit ihren gespreizten Flügeln vom Aufwind die Felshänge hinauftragen lassen und dabei ihre durchdringenden Schreie ausstoßen.

Weniger wild geht es dagegen zu im Nordzipfel von Navarra, dem Tal von Baztán. Zum Beispiel in Elizondo, einem schmucken Städtchen, das mit seinen gepflegten blumenverzierten Fassaden für einen Augenblick ein süddeutsches Flair ausstrahlt. Hier gibt es nicht nur ein namhaftes Kunstmuseum, sondern sogar ein Schokoladen-Spezialgeschäft, in dieser abgelegenen Gegend eine beliebte kleine Sensation.

Pinchos in der “Bar Gaucho” in Pamplona. © Foto/BU: Dr. Bernd Kregel, Aufnahme: Navarra, Pamplona, 18.9.2009

Köstliche „Pinchos“

Ähnlich sensationell wie auch die “Bar Gaucho“ in Pamplona unweit der Stierkampfarena. Denn mit der Rückkehr in die Metropole schließt sich nun der Kreis einer Entdeckungsreise ins spanische Navarra. Was jedoch noch fehlt ist das Ausprobieren einer Spezialität, die sich bei Einheimischen einer großen Beliebtheit erfreut.

Es sind die phantasievoll hergestellten „Pinchos“, kleine köstliche Miniaturgerichte für den kleinen Hunger zwischendurch. Niemand bereitet sie besser zu als Jesús María Ansa und Alicia Serrano, die mit ihrer Kunstfertigkeit bereits viele Kulinarik-Auszeichnungen für die „Bar Gaucho“ verbuchen konnten. Einer der wenigen freien Tische bietet Gelegenheit, einige ihrer unglaublich geschmacksintensiven Kreationen auszuprobieren.

Straßenumzug der „Giganten“ in Olite. © Foto/BU: Dr. Bernd Kregel, Aufnahme: Navarra, Olite, 19.9.2009

Touristische Offenbarung

Und am Ende der Reise die Eindrücke von Navarra in Ruhe nachwirken zu lassen. Von einer Region, die inzwischen erkannt hat, was in ihr steckt und daher ihre Attraktionen nun verstärkt anbietet. Für Besucher vielfach eine touristische Offenbarung, die eine Entdeckungsreise auf die andere Seite der Pyrenäen allemal rechtfertigt.

Straßenumzug der „Gigantes“ in Olite. © Foto/BU: Dr. Bernd Kregel, Aufnahme: Navarra, Olite, 19.9.2009

Reiseinformationen „Navarra“:

Anreise Rundreise: Mit dem Auto: über Bordeaux Richtung Süden nach Pamplona; mit dem Flugzeug: von Frankfurt am Main über Madrid nach Pamplona

Einreise: Es empfehlen sich Personalausweis oder Reisepass.

Rundreise: Wer auf eigenes Auto oder Leihwagen verzichtet, mietet eine Rundreise mit Chauffeur zu akzeptablen Bedingungen: Reisen mit Chauffeur: www.navarvipservicios.com

Reisezeit: Eine Sonnenscheingarantie gibt es in Nordspanien nicht. Dafür wird der Besucher entlohnt mit einer fruchtbaren Landschaft sowie einer bezaubernden Blütenpracht im Frühling. Optimal wäre demnach die Zeit von Frühling bis Herbst, besonders zur Zeit der „Sanfermines“ in Pamplona im Juli; andere Fiestas gibt es den ganzen Sommer hindurch bis Mitte September, z.B. in Olite.

Unterkunft: Unterkünfte gibt es in allen Preiskategorien, z.B. in Pamplona: „Gran Hotel La Perla“ (Hemingways Hotel, sein Zimmer ist buchbar), www.granhotellaperla.com und „Palacio Guendulain“, www.palacioguendulain.com; Roncesvalles: „Casa de Beneficados“, www.casadebeneficados.com oder „Hotel Roncesvalles“, www.hotelroncesvalles.com; Puente la Reina: „Hotel Rural Bidean“, www.bidean.com; Leyre: „Hotel de Leyre“, www.hotelhospederiadeleyre.com; Olite: „La Joyosa Guarda“, www.lajoyosaguarda.com oder “Parador de Olite“, www.parador.es; Valle de Baztán: „Senorío de Ursua“, www.hotelursua.com

Jakobsweg: Attraktiv ist das Teilstück über die Pyrenäen von St-Jean-Pied-le-Port nach Roncesvalles, zum Kloster San Juan de la Pena, zum Kloster San Salvador de Leyre und schließlich über Eunate nach Puente La Reina. Hier vereinigen sich zwei Wegstränge zu einem einzigen. All dies sind Einzelstücke des Gesamtweges, die sich zum Kennenlernen sehr gut eignen.

Öffnungszeiten: Bei vielen Geschäften, Museen und Sehenswürdigkeiten muss man mit der mittägliche Siesta rechnen, der man sich besser auch selber anpasst. Das dient der Entspannung und schon die Nerven.

Reiseagentur und Reiseveranstalter: Retroreisen

Anmerkung:

Die Recherche von Dr. Bernd Kregel erfolgt im September 2009.

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