Sofia, Bulgarien (MaDeRe). Im Grenzgebiet zwischen Orient und Okzident überrascht Bulgarien mit grandiosen Kulturlandschaften.
„Wo steppt der Bär?“ möchte man verwundert fragen. Denn die Ankündigung eines „Tanzbärenparks“ führt umgehend zu ungläubigem Staunen. Zum Glück warten die Ranger Jana und Dimitar bereits am Eingang der gut gesicherten Anlage und reden Klartext: „Nein, getanzt wird hier nicht“, hält Dimitar dagegen. Und spielt damit an auf jene unselige Zeit, in der heimische Roma ihren Bären die Flötentöne beibrachten, indem sie sie auf heißen Metallplatten das „Tanzen“ lehrten. Immer und immer wieder, bis sie das Ergebnis dieser Dressur als Sensation auf den umliegenden Jahrmärkten präsentieren konnten.
Alle auf diese oder ähnliche Weise missbrauchten Braunbären, so Jana, sind noch lange danach tief traumatisiert. Nun gewöhnen sie sich in ihrem neuen Gehege mitten in der Bergeinsamkeit des Rila-Gebirges zurück an ihren natürlichen Lebensraum. Monty ist einer von ihnen. Irgendwann war er in Gefangenschaft geraten, in der ihm, eingezwängt in einen engen Käfig, für viele Jahre ein Leben unter natürlichen Bedingungen versagt blieb. Nun ist er hinter dem stabilen Zaun der Anlage vorerst in Sicherheit. Ob seine entspannt dösende Haltung an diesem sonnigen Vormittag wohl darauf schließen lässt, dass er unaufgeregt besseren Zeiten in unberührter Umgebung entgegen sieht?
Wilde Landschaft
Denn davon gibt es in Bulgarien reichlich. Nicht so sehr an der von Badegästen überfluteten Schwarzmeerküste im Osten des Landes. Wohl aber in den drei Gebirgszügen, die im Südwesten auch bei Wander- und Abenteuerurlaubern die Herzen höher schlagen lassen. Wilde Landschaften an der Grenze zwischen Orient und Okzident, die sich bereits seit den Thrakern vor dem Zugriff der Regionalmächte vorzüglich als Rückzugsgebiete eigneten.
Und die zugleich Symbolfiguren hervor brachten, die bis in die Gegenwart hinein für das Land typisch sind. Wie beispielsweise Spartakus, der legendäre Freiheitskämpfer, der einem stolzen Denkmal zufolge in dem kleinen Ort Sandanski das Licht der Welt erblickte. Und der dann später als Anführer des nach ihm benannten Sklavenaufstands das römische Weltreich gehörig aufmischte. Legendär auch der Musen geküsste Orpheus, der durch die Macht seiner wohlklingenden Stimme und den Zauber seiner Lyra nicht nur das wütende Meer sondern auch noch seine Feinde bezwang. Ein absoluter Tonkünstler, dem es bei seinen mitreißenden Fähigkeiten fast noch gelungen wäre, seine viel zu früh verstorbene Eurydike aus den Tiefen des Hades zu befreien.
Frommer Schauer
Doch trotz dieses der Liebe geschuldeten Misserfolgs sah man in Orpheus fortan stets ein Symbol für die reiche bulgarische Kultur. Besonders für die hohe Gesangskunst, wie sie sich eindrucksvoll jeden Sonntag vom Chor der orthodoxen Alexander-Newski-Kathedrale in der Landeshauptstadt Sofia vernehmen lässt. Mit einer Intensität und religiösen Ausstrahlung, die jedem Zuhörer augenblicklich einen frommen Schauer über den Rücken treibt.
Kulturell herausragend ist auch die nahe gelegene Bojana-Kirche. Sie erstrahlt in ihrem Inneren mit alten Fresken, die Kirchenführer Mr. White Light, wie er sich nennt, als „den besten Beitrag Bulgariens zur mittelalterlichen Kunst“ charakterisiert. Ganz zu schweigen vom „Gold der Thraker“ aus der Varna-Zivilisation am Schwarzen Meer. Heute hat es seine Bleibe gefunden im Bulgarischen Nationalmuseum von Sofia, wo die in unglaublicher Kunstfertigkeit ausgearbeiteten Prachtstücke in metallischem Hochglanz erstrahlen.
Spitze Sandsteinpyramiden
Eine Kostbarkeit ist auch das mitten im Rila-Gebirge verstecke Rila-Kloster. Orthodoxe Prachtentfaltung im Kircheninneren und kunstvolle Außenbemalung bilden einen Anziehungspunkt für Pilger, aus allen Richtungen. Mit etwas Glück nimmt sich der Abt des Klosters, Evlogi Adrianopolski, auch Zeit für die Besucher aus dem europäischen Ausland, um über die Besonderheiten seines Klosters zu berichten. Und obendrein über die Verwerfungen, die fünfzig Jahre Kommunismus hier und anderswo hinterlassen haben.
Als Eingangstor zu den kulturellen Kostbarkeiten des bulgarischen Südwestens dient auch die eigenwillige Formation des Pirin-Gebirges. Einst war es eine mächtige Sandsteinplatte, die sich unter tektonischem Druck erhob und dann langsam erodierte. Dabei hinterließ sie spitze Sandstein-Pyramiden, wie man sie nie zuvor gesehen hat. Ein bezaubernder Anblick, der die Schritte während der Gebirgswanderung zunehmend beflügelt!
Feuchtfröhliche Weinprobe
Irgendwann jedoch endet der Pfad in der schmucken Ortschaft Melnik. Kaum zu glauben, dass diese kleinste Stadt Bulgariens zugleich den Höhepunkt bulgarischer Weinkultur darstellt. An der Villa Melnik wartet bereits Nikola Zikatanov, der Manager des Anwesens, der erst vor kurzem dieses moderne Weingut aus der Taufe hob. Viele Verträge, so betont er beim Rundgang, waren zu unterschreiben, bis die zur Zeit des Kommunismus aufgehobenen Besitzstrukturen wieder eindeutig geklärt waren.
Sein persönliches Motto ist entwaffnend einfach: „Willst du glücklich sein für ein paar Stunden, so trinke; für ein paar Jahre, so gründe eine Familie; für ein ganzes Leben, so verschreibe dich dem Weinanbau.“ In diesem Geist gerät die feuchtfröhliche Weinprobe zu einem kulinarischen Ereignis. Dabei fällt der Cabernet Sauvignon fruchtig-vollmundig aus dem Rahmen. Als mit einer Goldmedaille hoch dekorierte „Premium Reserve“ übertrifft er selbst den gefeierten Cuvée aus Melnik und Pinot noir.
Romantische Schmalspurbahn
Und noch eine weitere Erhebung hält der bulgarische Südwesten bereit. Es ist das Rhodopen-Gebirge, das bei weitem größte von allen. Besonders lässt es sich genießen aus dem Waggon einer romantischen Schmalspurbahn. Über 125 Kilometer führt diese entlang dem Nordrand des Gebirges bis nach Kostandovo, der legendären Spa-Hauptstadt des Balkans.
Unglaublich, dass die örtlichen Behörden die seit neunzig Jahren bewährte und immer noch benötigte Kleinbahn einfach ausrangieren wollten. Doch sie hatten nicht mit dem Einsatz und der Energie des Studenten Kristian Vaklinov gerechnet. Mit gerade einmal zwanzig Jahren rief dieser die Öffentlichkeit auf den Plan und revoltierte gegen diesen nicht sonderlich intelligenten Plan mit einer Unterschriftensammlung. Mit Erfolg, wie er in einem Gespräch zwischen den Bahnstationen Avramovo und Kostandovo in aller Bescheidenheit erklärt.
Gesellige Begegnung
Und noch einmal geht es hinauf ins Gebirge. Ziel ist die kleine Rhodopen-Ortschaft Kosovo-Dorf, malerisch gelegen zwischen Felsformationen und im Herbst eingehüllt in buntes Laub. Und doch bot die Siedlung keine ausreichende Existenzgrundlage für die einst mehr als einhundert Einwohner. Diese zogen nach und nach weit fort, sodass der Ort immer mehr die Züge einer Geisterstadt annahm und auf gerade einmal sieben Unverdrossene zusammen schrumpfte. Dabei jedoch wollte es das bereits nach Südamerika ausgewanderte Ehepaar Svetlana und Hristo Ralev nicht bewenden lassen.
Schon bald zog es sie wieder zurück in ihre alte Heimat, wo sie gemeinsam mit ihrem Sohn Dimitar einige der Häuser zu einer geselligen Begegnungsstätte ausbauten. Dort kann sich jeder Besucher in anheimelnder Atmosphäre kulinarisch verwöhnen lassen, sogar bei Dudelsackmusik, Gesang und Tanz. Ein wundervolles Erlebnis mitten in der Bergeinsamkeit der Rhodopen!
Europäisches Blickfeld
Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zum Batschkovo-Kloster, nach dem Rila-Kloster der wohl zweitwichtigsten Anlage der Region. Auch hier gibt es eine Fülle von Fresken, die besonders im Speisesaal der Mönche von der aufregenden und wechselvollen Geschichte der frühen Kirche berichten. Doch dann gibt es kein Halten mehr, denn schon kündigt sich mit Plovdiv die Hauptstadt der Rhodopen an. Nach der Wende einst zusammen mit Weimar eine der europäischen Kulturhauptstädte.
Und nun wird sie es wieder. Denn für das Jahr 2019 erhielt das schmucke und traditionsreiche Städtchen mit seiner berühmten Flaniermeile, der historischen Altstadt sowie seinem römischen Theater erneut den Zuschlag. Damit wird, völlig zu Recht, das südliche Bulgarien mit seinen Kultur- und Naturschätzen wieder verstärkt in das europäische Blickfeld rücken.
Reiseinformationen “Bulgarien”:
Anreise: Günstig mit Lufthansa ab Frankfurt oder München nach Sofia.
Einreise: mit Reisepass oder Personalausweis; visumfrei bis zu 90 Tagen
Reisezeit: Empfehlenswert sind die Monate von Frühling bis Herbst; am Schwarzen Meer von Juli bis August
Reiseveranstalter: Ausgezeichnet für Wander-, Studien- und Pilgerreisen ist das Bayerische Pilgerbüro e.V., Dachauer Str. 9, 80335 München, Telefon: 089-5458 110, Fax -1169, E-Mail: info@pilgerreisen.de; Web: www.pilgerreisen.de
Unterkunft: Sofia: Hotel Arena di Serdica, Web: www.arenadiserdica.com; Rila-Kloster, Web: www.rilamonastery.pmg-blg.com; Plovdiv: Hotel Ramada Trimontium, Web: www.ramada.com
Auskunft: Bulgarisches Tourismusbüro, Eckenheimer Landstrasse 101, 60318 Frankfurt/Main, Telefon: 069-295284, Fax -86; E-Mail: bgtouristik@gmx.de; Web: www.bulgariatravel.org
Anmerkungen:
Die Recherche wurde unterstützt vom Bayerischen Pilgerbüro e.V. Vorstehender Beitrag von Dr. Bernd Kregel ist eine Vollversion, die im MaDeRe – Magazin des Reisens erstveröffentlicht wird.