Wittenberg, Brandenburg, Deutschland (MaDeRe). Das Zisterzienserkloster Marienstern hat uns überrascht. Übernachten im Ökumenehaus der Begegnung und Stille bei Claretiner-Ordenspater Alois Andelfinger bedeutet: Betten selber beziehen, kein TV, kein Radio, kein W-Lan – aber viel Zeit und Ruhe für sich selbst. Die Kurzreise an wichtige Stätten der Reformation zeigt uns bereits in Mühlberg/Elbe in Brandenburg historische Dimensionen. Neben der großen Schlacht des Schmalkaldischen Krieges von 1547 zwischen Katholiken und Protestanten informiert das traditionsreiche Museum des Landkreises Elbe-Elster in seiner neuen Dauerausstellung über wichtige Stationen der Reformationsgeschichte. Anhand von Mühlberger Glaubenszeugnissen, wie liturgischen Handschriften, einem Reliquienschatz oder kunsthistorisch wertvollen Heiligenfiguren, wird die Reformation auch in ihren lokalen Erscheinungen gezeigt.
Der Besucher (Pilger) mit Lutherpass erhält in Mühlberg auf Spurensuche zu Luthers Leben und Wirken den begehrten Stempel auf einer Route durch 3 Länder. Verbunden werden die Stätten der Reformation im Landkreis Elbe-Elster mit der Tetzelstadt Jüterbog, mit Torgau, dem Sterbeort von Luthers Gemahlin Katharina von Bora, und dem Ort des Thesenanschlags, Lutherstadt Wittenberg. So hilft der Pass, aus der Fülle der Reformations-Angebote vor Ort den eigenen Weg zu Luther zu finden. In jeder der acht beteiligten Städte erhalten interessierte Gäste einen besonderen Stempel in ihren Pass. Die Pässe werden in Touristinformationen, in vielen Museen und auf Messen in Berlin ausgegeben.
Luthers provokante Thesen wirkten in das Alltagsleben der Menschen und hinterlassen bis heute Spuren. Die lassen sich auch in Torgau (Nordsachsen), die als “Reformationsstadt Europas“ gilt, finden. Schließlich galt die Renaissancestadt als politisches Zentrum der Reformation, von dem die entscheidenden Impulse ausgingen. Die Schlosskapelle ist der erste protestantische Kirchenneubau. Luther selbst weihte die Schlosskapelle von Schloss Hartenfels ein. In Torgau entstanden in enger Abstimmung der Reformatoren mit dem Kurfürst Johann von Sachsen die Grundzüge der ersten protestantischen Visitationsanordnung und die Torgauer Artikel, die Bestandteil der Confessio Augustana wurden. Das alles und noch viel ist Teil des Programms „Torgau im Reformationsjahr„.
In der Kurstadt Bad Liebenwerda erfahren wir auf unserer Tour, dass Luther stur war: Das wusste die katholische Führung in Rom. Deshalb schickte der Papst einen Abgesandten nach Liebenwerda, der sich dort mit Luther traf. Ziel war es, den Reformator zu überzeugen, seine Meinung öffentlich zu widerrufen. Das tat er nicht. Und hier, in Liebenwerda, wuchs auch Elias Schade auf, ein Reformator der zweiten Generation, der später Prediger am Straßburger Münster wurde.
Herzberg (Elster) verkörpert das neue humanistische Bildungsideal zu Luthers Zeiten. Hier fand 1522 der erste evangelische Gottesdienst statt. Und 1538 wurde in der Stadt eine der ersten Schulordnungen von Martin Luther und Philipp Melanchthon unterzeichnet. Diese Schulordnung entstand auf der Grundlage des neuen Bildungsideals, das sich mit der Reformation entwickelte. Wie die Reformation das Leben beeinflusste, erzählt heute die Ausstellung in der Kirche Sankt Marien. Wir hatten das Glück, Julia Ellert zu treffen, eine Nachfahrin Luthers. Heute älteste lebende Luther-Nachkommin in Herzberg ist allerdings Ingeborg Zacher, Lutheridin der 13. Generation.
Unsere Stempelstation Nr. 5 wird Doberlug-Kirchhain. Hier erfahren wir, was mit den zahlreichen nach der Reformation überflüssig gewordenen Klöstern passierte. Klöster sähe die Bibel nicht vor, konstatierte Luther und löste damit eine Säkularisierungswelle aus. Auch das mächtige Kloster Dobrilugk geriet um 1540 in deren Sog. Für seine Zisterziensermönche bedeutete dies die Suche nach neuen Lebensentwürfen. Das Museum Schloss Doberlug zeichnet die Lebenswege der letzten Dobrilugker Mönche in einer Ausstellung nach: Urkunden verorten sie als evangelische Pfarrer oder als Pensionäre in einem verfallenden Kloster. Weiter führt der Pilgerweg nach Finsterwalde, in die Stadt der Sänger. Mit der Reformation schlug die Geburtsstunde der protestantischen Kantorei. Als Vorreiter der heutigen Chöre prägte sie das Singen. Das Sänger- und Kaufmannsmuseum illustriert mit einer Sonderausstellung die Geschichte dieser Kantoreien. Mit der nahe gelegenen Trinitatiskirche ist ein Kirchenbau zu entdecken, der im Geiste der Reformation entstand und Heimat der 450 Jahre alten Trinitatiskantorei ist. In Jüterbog – der „Stadt des Anstoßes“ der Reformation zu entdecken sind Ablassbriefe und der Kanzleistreit. Hier schürte der Dominikanermönch Johann Tetzel 1517 die Angst vor dem Fegefeuer und predigte für den Ablass. Originale Ablassbriefe aus dem 15. und 16. Jahrhundert sind im Museum im Mönchenkloster zu besichtigen, ebenso der eindrucksvolle Fegefeuer-Altar von Cranach oder der legendäre „Tetzelkasten“ in der Jüterboger Nikolaikirche.
Schließlich wird Wittenberg erreicht, wo Martin Luther am 31.10.1517 mit kräftigen Schlägen 95 Thesen an die Kirchentür der Schlosskirche nagelt. Seine Hammerschläge finden in ganz Europa Widerhall und ändern die gesellschaftliche Konstellation grundlegend. Anhand der vier UNESCO-Weltkulturerbestätten in der Lutherstadt Wittenberg wird der Ausgangspunkt der Reformation an den Originalschauplätzen ganz besonders erlebbar.
Veranstaltungen in Wittenberg:
Vom 20.05. bis 10.09.2017 Weltausstellung Reformation, Wittenberger Wallanlagen
Am 28.05.2017 Festgottesdienst zum Kirchentag, Wittenberger Elbwiesen
Am 31.10.2017 Reformationstag, Wittenberger Altstadt
Weitere Termine und Infos unter www.lutherstadt-wittenberg.de
Den praktischen Lutherpass initiiert hat der brandenburgische Landkreis Elbe-Elster. Wert gelegt wurde von den Historikern und Reformierten auf die „kleinen feinen Geschichten“ am Rande des welthistorischen Geschehens. Sie nachhaltig zu entdecken – dabei hilft der Lutherpass nicht nur in den 8 beteiligten Städten. So ist ein über das Lutherjahr 2017 deutlich hinausgehender, über drei Länder reichender Kompass für Touristen entstanden, der einen Leuchtturm im ostdeutschen Tourismus im Reformationsjahr 2017 darstellt.
Anmerkungen:
Vorstehender Beitrag von Günter Knackfuss ist eine Erstveröffentlichung.