Bergen, Rügen (MaDeRe). Eigentlich wollte ich nur ein paar Tage frische Ostseeluft schnuppern – auf Rügen. Dann kam alles ganz anders in diesem Februar 2018. Die Wettergötter prophezeiten Kälte und Schnee aus Russland…
Am Sonntag auf der Autobahn gen Stralsund ging es am Vormittag los. Unerwartet. Kurz hinter der brandenburgischen Landesgrenze das MV-Schild: „Ein Land zum Leben“. Genau ab da der erste Schnee. Die günstige Ferienwohnung war in Bergen gebucht, Hauptstadt und Mittelpunkt der größten Insel Deutschlands. Von dort sollte es in täglichen Stichfahrten rund Rügen gehen. Den Schlüssel zur Basisstation Bergen gab´s an der Tankstelle. Das vorgeheizte Quartier nicht weit weg. Von Schneetreiben auf der Insel aber keine Spur.
Ortserkundung in Bergen auf Rügen
Die 23.000-Einwohnerstadt kommt im Winter völlig ohne Touristen aus. Hier brummt es nur im Sommer. Kein Zutritt zur Klosterkirche St. Marien, dem ältesten Bauwerk auf Rügen (1180). Nebenan das städtische Museum, klein aber voller Anregungen. Spontan besichtigt die Sonderausstellung zu Caspar David Friedrich, dem großen Maler der deutschen Romantik. Eine weitere Schau erinnert an Wolfgang Jacobi, Sohn der Stadt, Komponist und Pädagoge. 1933 erhielt er Berufsverbot, konnte in München untertauchen und überlebte den Naziterror. In der städtischen Touristinformation – an historischer Stelle im Benedix-Fachwerkhaus – keine Auskunft über eine gute Fischgaststätte. Erst Passanten verweisen auf den Kaufmannshof Hermerschmidt in der Bahnhofstraße. Rundum empfehlenswert.
Einen tollen Rundumblick zum Rugard oder zum Nonnensee habe ich Wintertourist vom Ernst-Moritz-Arndt-Turm. 1877 zu Ehren des Dichters errichtet, dient er Einheimischen und Gästen als Aussichtsturm. Ansonsten wie damals: „… In Bergen selbst ist nichts Merkwürdiges…“, schrieb nach seiner Rügenreise im Jahre 1796 der Philosoph Wilhelm von Humboldt in sein Tagebuch.
Tagestour zum Kap Arkona
Über Nacht war Schnee gefallen, 10 cm auf dem Autodach und minus 6. Dazu scharfer Ostwind. Erstes Ziel auf der Strecke wird Saßnitz auf der Halbinsel Jasmund. Der Rügen-Winterdienst zuverlässig unterwegs.
Im anerkannten Erholungsort geht es gleich zum Hafen. Eine erste steife Brise Ostsee. Durchatmen, Erinnern, Frieren – Ich war noch nie winters an der Küste. Trotz Schnee und Sturm hat die Touristinfo geöffnet. Ich werde als offensichtlich fehlgeleiteter Feriengast gewarnt: „Die Wege zum Nationalpark-Zentrum KÖNIGSSTUHL sind zugeschneit“. Vor der Hafenkulisse eine einsame Bank, beschriftet mit: „Pflegt die Deutsche Sprache!“ Bestimmt nicht ausländerfeindlich gemeint.
Der Königsstuhl
Der 118 m hohe Königsstuhl – wegen aktueller Abbrüche an der Kreideküste weiträumig abgesperrt – fällt also aus. Dafür alternativ auf gut geräumter Strecke zum Golf Schloss Ranzow. Heute noch ein Geheimtip. Auch hier keine Spur von Urlaubern. Winterruhe bis März. Die Historie der Anlage Ranzow spricht Bände: Um 1900 als Herrenhaus des gleichnamigen Ritterguts errichtet. Bauherr war Paul von Bötticher, russischer Staatsrat in Berlin. In wechselvoller Geschichte gehörte Ranzow der preussischen Adelsfamilie von Seydlitz. Nach dem Zweiten Weltkrieg nistete sich das sowjetische Militär mit einer Nachrichtenstation ein – bis zum Abzug 1991. Dann lange Brache und schließlich 2017 vom rheinländischen Schloßherrn Wolfgang Zeibig zum 18-Loch Golf-Resort mit Meerblick entwickelt.
Go Glowe
Zum Tagesziel Arkona führt der Weg durch Glowe, den größten Badeort im Norden der Insel Rügen. Hier vermischen sich ältere, typisch nordische Stilbauten mit zeitgenössischer Bauweise. Dies verleiht der Gemeinde einen liebenswerten und einladenden Charakter.
Obwohl unter Sachsen und Berlinern der Satz gilt: „Jeder Doofe fährt nach Glowe“. Im Gasthof „Zur Schaabe“ gut gefüllte Mittagstische. Hier werden Fischgerichte gegessen; frisch und gesund. Den 12 km langen, feinen Sandstrand nutzen selbst in der Nebensaison mehr und mehr Inselgäste.
Jetzt folgt die Annäherung an die Nordspitze der Insel. Auf der Kapstraße über Putgarten ans Ziel Kap Arkona mit seinen drei Türmen: Schinkelturm, Leuchtfeuer und Peilturm. Schneeschauer auf Schneeschauer vertreibt die Vorfreude auf gute Fernsicht. Das Kap ist nur zu Fuß erreichbar. Selbst Rollatorschieber sind unterwegs. Insgesamt erreichen das Flächendenkmal ca. 800.000 Besucher pro Jahr. Immer gern besichtigt dort auch der Marineführerbunker, der bis heute Zeugnis von der DDR-Geschichte ablegt (Gefechtsstand 6. Flottille der Volksmarine). Die eigentliche Bunkergeschichte auf Kap Arkona beginnt bereits 1915 mit dem Bau der ersten Anlage.
Die Rücktour nach Bergen führt auf der Halbinsel Wittow über Altenkirchen und Wiek. Da muss man Zeit einplanen für eine Überfahrt mit der Wittower Fähre. Preis 4 Euro; Fahrzeit vier Minuten.
Winteridylle in Göhren, Sellin und Binz
Ein neuer Tag mit neuen Winterfreuden. Wieder knapp 10 cm Neuschnee auf dem Auto – aber herrlicher Sonnenschein. Die teuren Topadressen an Rügens Stränden sind dran. Bisher unbekannt in weißer Pracht. Hier macht die Saison keine Pause.
Göhren, Ostseebad und Kneippkurort, wirbt mit mehreren Wellnesstempeln. Ich muss beim ersten Anlauf passen. Das Tophotel gibt mir nur eine Saunachance wenn ich mal kurz eine Massage für 60 Euro heuere. So geht´s dann zum Frühschoppen bei Strandfischer Brandt nach Baabe auf der Halbinsel Mönchgut. Die Arbeit des Teams ist eingefroren – eine Eisdecke stoppt die Ausfahrt der Boote. Frischen Hering gibt´s trotzdem, mit direktem Blick auf den winterlichen Selliner See.
Zum Ostseebad Sellin sind es nur wenige Fahrminuten. Hier beeindruckt die 394 m lange verschneite Seebrücke im historischen Stil. Die feine Dame ganz in Weiß. Wieder errichtet 1998 in der ursprünglichen Gestalt von 1927. Das Bad selbst zeigt sich familienfreundlich, strandnah und weltoffen. Zum Strand geht es per Fahrstuhl 30 m abwärts. Hier pfeift wieder ein kühler Wind aus Ost. Der Weitblick zum Horizont macht den Gast glücklich.
Und schließlich die Perle Binz, das größte Seebad auf der Insel Rügen. Hier brummt der Urlauberansturm auch im Winter. Dazu ganz unnormal die See als Traum in Eis und Schnee.
Meine Mittagspause steigt im IFA Ferienpark. Vor der Mahlzeit zum Wellnessbereich und ins Erlebnisbad. Um diese Zeit ein Kinder- und Seniorentreff.
„Eine Brise klarer, würziger Ostseeluft ist in Binz schon die erste therapeutische Anwendung“, sagt der Kurdirektor.
Überfahrt zur Insel Hiddensee
Am dritten Tag wurde es knapp. Die Schneesturmwarnungen stimmten. Das Fährschiff 10.45 Uhr von Schaprode nach Vitte muss erreicht werden. Der Rügener Räumdienst hat aber wieder ganze Arbeit geleistet. Früh genug am Hafen gibt´s noch einen Glühwein in Schillings Hofladen. Beim Ticketkauf wird sofort die Kurtaxe fällig.
Auf dem Fährschiff 12 Leute, darunter eine NABU-Gruppe, die auf Hiddensee Vögel beobachten will. Das Schiff „Schaprode“ hat zu kämpfen – gegen Packeis und Strömung. So muss es sich auf einem Eisbrecher anfühlen, nur kälter. Zwischen den Schneeschauern mal Sonnenlücken.
Angelandet in Vitte, treffe ich gleich eine Ureinwohnerin. Sie empfiehlt mir den Strandweg nach Kloster an der Westseite der Insel. Hier wird´s sonnig und windschattig. Ein vergnügtes Wandern. Feriengäste Fehlanzeige.
In Kloster passiere ich die Gaststätte Wieseneck, drehe um und leiste mir eine heiße Fischsuppe. Jetzt bin ich auf der Insel der Superlative angekommen. Die Wohlfühl- und Kulturinsel. Ruhig, ursprünglich und autofrei: die kleine Nachbarinsel von Rügen – ein Ort für Naturfreunde und Romantiker. Auch viele Künstler haben die Insel geprägt. Die Blaue Scheune, das Asta-Nielsen-Haus, das Gerhart-Hauptmann-Haus. Alles verschlafen und zugeschneit um diese Zeit.
Pflichtwandern zum 1888 errichteten Leuchtturm auf dem Dornbusch. Seit 1994 kann er über 102 Stufen wieder bestiegen werden. Ab Windstärke 6 bleibt der Turm aus Sicherheitsgründen geschlossen. Heute hatten wir die 5 mit einem entspannenden Fernblick.
Zurück nach Rügen fährt das Schiff vom Hafen Kloster. Vorher noch ein Souvenir gekauft und einen warmen Tee getrunken in Schillings Hafenamt. Dann über den Laufsteg an Bord. Das letzte Boot gut besetzt – die Inselpendler fahren heimwärts. Wieder pflügt die Schaprode durch die Eisschollen. Diesmal wird noch Neuendorf angesteuert. Ein neuer schöner Winterblick. Am nächsten Tag gilt hier der Eisfährplan: Von Schaprode aus wird nur noch Vitte angesteuert. seebad-hiddensee.de
Abstecher zum Ernst-Moritz-Arndt-Museum in Garz
In Garz auf Rügen, unweit von Groß Schoritz, dem Geburtsort von Ernst Moritz Arndt, wurde 1937 das Museum für den streitbaren Schriftsteller und Historiker errichtet. Der aktuelle Text nennt verschämt als Gründung: „Zu Beginn des 20. Jahrhunderts…“ Wer hat da Angst vor historischer Datentreue? „Der Mensch ist, wie die Welt um ihn, und die Welt wird, wie der Mensch auf ihr.“ Diesen Arndtspruch prägt das überzeugend gestaltete museale Kleinod. 2015 um einen Anbau erweitert, hat der Ort jetzt auch Platz für Sonderausstellungen und Begegnung.
Der unerwartete Winter hat Rügen weiter fest im Griff. Für mich bleiben diese Tage dort eine schöne neue Erfahrung.
Auf der Fahrt heimwärts wird ein Zwischenstopp in Stralsund eingelegt. Die alte Gorch Fock eingefroren im Hafen. Zur Mittagssonne pilgern auch die Stralsunder an ihren Strelasund.
Fazit: Die Ostseeküste und Rügen haben im Winter ihre besonderen Reize. Falls sich wieder mal weiße Landschaften auf Rügen entdecken lassen, werde ich wieder dort sein. Vielleicht friert dann sogar die ganze Ostseeküste zu.
Anmerkung:
Vorstehender Beitrag von Günter Knackfuss wurde unter dem Titel Schnee und See – Ein Wintertraum auf Rügen im WELTEXPRESS am 18.3.2018 erstveröffentlicht.