Von Witwenmachern und Knochenbrechern – Serie: Am Fuß der Blauen Berge in Montana, USA (Teil 2/2)

Still ruht der See vor dem Glacier-Hotel. © XANTERRA TRAVEL COLLECTION

Saint Mary, Montana, USA (MaDeRe). Allerlei Überraschungen warten auf uns bei der Jubliäumstour 100 Jahre Glacier National Park in Montana. Vom Powwow bis zur Wildwasserfahrt erleben wir unerwartete Kontraste im alten Wilden Westen.

Scheinwerfer am Straßenrand

Bei den harschen Wetterbedingungen, im Winter liegen hier bis zu 10 Meter Schnee, bedarf die Passstraße ständiger Verbesserungen. Gearbeitet wird nur während der drei Sommermonate und dann auch noch nachts. Die Wintersperre dauert von Anfang Oktober mit Mitte Juni. Wartezeiten bei dem Einbahnverkehr sind unumgänglich. Gerne genießt man die Umgebung solange die Ampel rot zeigt, man steigt aus und kommt mit den anderen Wartenden ins Gespräch. Dicht am Abgrund sind Scheinwerfer für die Nachtschicht angebracht.

„Es gibt keine Worte, welche die Größe und Majestät dieser Berge beschreiben.“ George Bird Grinnell, der als Vater des Glacier-Nationalparks gilt, veröffentlichte im „The Century Magazine“ 1901 einen Artikel, indem er voller Begeisterung von dieser Gegend berichtet.

Mit seiner beeindruckenden Fläche von insgesamt 4.100 km² zählt der Glacier-Nationalpark auch flächenmäßig zu den größten Nationalparks Amerikas. Er wurde gemeinsam mit dem auf der kanadischen Seite sich direkt anschließenden Waterton-Nationalpark zum ersten internationalen Friedenspark der Welt ernannt. Seit 1995 gehört er zum UNESCO Welterbe.

Durch seine raue Berglandschaft verläuft auch die kontinentale Wasserscheide. Nach Westen münden alle Gewässer in den Pazifik, nach Osten in das Einzugsgebiet des Mississippi und schließlich in die Karibik.

Bergziege mit Jungem auf dem Logan Pass. © Foto/BU: Rainer Hamberger

Wir haben nur die Steine verkauft

Bei all der Großartigkeit der Landschaft sollte man jedoch nicht vergessen, wie Beauftragte der damaligen Regierung zu diesem Naturschutzgebiet kam. Alles Land, was heute zum Park zählt, war Siedlungsraum der Blackfeet-Indianer und Kutenais. Sie fischten in den Flüssen, nutzten den Wildreichtum, sowie das übermäßig vorhandene Holz, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Generationen durchquerten das schwierige Gelände, um in die östlich gelegenen Prärien zu gelangen, wo sie Bisons jagten.

Vier Tage dauerten die Verhandlungen, man konnte keine Einigung finden. Hätte nicht damals eine große Hungersnot unter den Einheimischen geherrscht, man hätte sich wohl nicht bereit erklärt das Land abzutreten. „We sold them only the rocks!“ In diesem Glauben befanden sich wohl die meisten, bis ihnen klar wurde, dass auch das Land den Besitzer wechselte. Zwar räumte man ihnen einige Sonderrechte ein, die sie wahrnehmen könnten, aber darauf verzichten. Welcher Tourist würde sich freuen einen Blackfeet bei der Jagd auf einen Hirsch zu treffen? Oder hätte man etwa Verständnis, wenn hinter dem Camping-Platz Bäume abgesägt würden?

Aus dem Auditorium des St. Mary Visitor Centers dröhnt gleichmäßiges Trommeln.

Heute Abend haben die Two Medicine Singers ihren Auftritt. Schon seit 18 Jahren kultiviert diese Gruppe alte Tänze ihres Klans. Solch eine Aufführung ist etwas Seltenes. Einer der Haupttänzer verunglückte vor wenigen Tagen tödlich. Ihm zur Erinnerung gelten die unter die Haut gehenden Rhythmen und konzentrierten Tanzbewegungen. Eine junge attraktive Frau betritt die Bühne, sie ist diesjährige Schönheitskönigin des Stammes. Zahlreiche Trommler werden aktiv, dazu ertönt kehliger Gesang. Mit geschmeidigen Bewegungen, bei denen kunstvoll gefertigte Schals, sowie mit Perlen bestickte Umhänge voll zur Geltung kommen, begleitet sie monotones Trommeln, das von ihr noch mit kräftigem Fußstampfen verstärkt wird. Beinahe schockiert nimmt man als Zuschauer wahr, wie dieser tiefe Ton der Trommel von einem Besitz ergreift. Man glaubt innerlich von den Schwingungen zu vibrieren. Erst jetzt wird vieles nachvollziehbar, was First Nation People in ihrer über Jahrtausende alten Kultur an übersinnlichen Erlebnissen erfuhren. Für viele ist es ein schwieriger Spagat. Auf der einen Seite möchte jeder am modernen Leben teilnehmen, auf der anderen gibt ihnen der Erhalt von Traditionen auch Möglichkeit sich mit ihrem Dasein als Ureinwohner zu identifizieren.

Von Witwenmachern und Knochenbrechern

„Paddle left, keep on going, rest.” Auf dem Schlauchboot gilt das Kommando des Bootsführers Joseph, die zehnköpfige Besatzung hat zu folgen. Die nächsten Stromschnellen mit dem aufmunternden Namen „Bone-Crusher“ sind bereits zu hören. Jetzt gilt es paddeln, paddeln, paddeln, bis zu einem bestimmten Punkt, dann passt sich das Boot ohne Zutun sanft der Strömung an. Eine Rafttour auf dem Middle Fork des Flathead River im Glacierpark ist nicht unbedingt eine sportliche Herausforderung aber ein Riesenspaß. Da heißt es schon wieder aufgepasst: Der Widow-Maker naht. Eine größere Welle schwappt ins Boot. Spätestens jetzt sind alle nass. Nach einem regenreichen Frühjahr führt der Fluss mehr Wasser als gewöhnlich. An manchen Stellen sind die Steine am Boden zum Greifen nah, an anderen tut sich unter dem Boot eine scheinbar grundlose Tiefe auf. Zu Beginn der Saison, nach der Schneeschmelze, ist das Wasser oft vier Meter höher als jetzt. Josephs Augen glänzen, als er von rasenden Fahrten erzählt. Auf Kiesinseln hoch getürmte Berge von angeschwemmten  Baumstämmen machen seine Aussage glaubhaft. Alle genießen die Ruhe, das leise Plätschern, das mühelose Vorwärtskommen. Plötzlich ertönt ein allzu bekanntes Pfeifen. Oberhalb des Flusses verlaufen die Eisenbahngleise, die durch dasselbe Tal verlegt wurden. Es dauert eine Weile bis die 120 Güterwagen laut quietschend  verschwunden sind. Zurück zur Realität. Auch die Bootsfahrt geht zu Ende. Auf die tapfere Mannschaft erwartet am Ufer noch ein ausgiebiges Diner. Jetzt gilt es für Joseph Steaks zu wenden. Dabei muss er genauso höllisch aufpassen, dass sie nicht verbrennen, wie beim Bone-Crusher, wo es gilt das Gummifloß samt Inhalt sicher durch die Stromschnellen zu manövrieren.

Informationen:

Reisezeit in den Glacier- Nationalpark ist von Mitte Juni bis Ende September.

Auskünfte über den Glacier National Park über www.nps.gov/glac.

Anmerkung:

Vorstehender Artikel von Monika Hamberger wurde unter dem Titel „Von Witwenmachern und Knochenbrechern – Serie: Am Fuß der Blauen Berge in Montana/USA“ am 29.8.2020 im WELTEXPRESS erstveröffentlicht.

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