Field, Britisch-Kolumbien, Kanada (MaDeRe). Die Bergwelt Westkanada ist eines der verlockendsten Reiseziele für Naturliebhaber aus aller Welt. Im Osten der Provinz Britisch Kolumbia erheben sich die Rocky Mountains bis knapp 4000 m Höhe. Zahlreiche Nationalparks liegen unweit wichtiger Verkehrsverbindungen. Blockhauslodges bietet dazu das gewünschte Ambiente für landestypische Urlaubstage.
„Willkommen in Britisch Kolumbia.“ Wir halten neben dem Schild an, um das übliche Erinnerungsbild zu machen. Hinter uns liegt der Banff National Park, der älteste seiner Art in Kanada, und vor uns der Yoho National Park. Der Name Yoho kommt aus der Indianersprache und geht auf einen Ausruf des Erstaunens über die Naturgewalt zurück.
In der Ferne hören wir ein konstantes, langsam lauter werdendes Geräusch: es brummt, stampft und quietscht. Eisen auf Eisen, Motoren und schließlich eine Sirene. Drei Zugmaschinen vorne, dann über 100 rote Güterwagen, am Ende nochmals zwei Lokomotiven. Ein kanadischer Getreidezug transportiert Weizen von den fruchtbaren Prärieebenen Albertas in Richtung Vancouver zur Ausschiffung. Er schlängelt sich auf der gegenüberliegenden Talseite am Seeufer entlang. Schnell fahren weiter und gewinnen rasch einen Vorsprung, denn der Zug kommt wegen der großen Last nur sehr gemächlich vorwärts. Am Ende verengt sich das Tal und die Gleise nähern sich der Straße. Auf jedem der roten Wagen sind Getreideähren abgebildet. Aus dem Fenster der letzten Lok winkt jemand in Overall und mit Schiebermütze auf dem Kopf. Bald werden sie die Fenster schließen.
Nur der Anfang und das Ende sind sichtbar
Direkt nach dem ca. 1600 m hohen Kicking Horse Pass müssen die Wagen der Canadian Grain Corporation auf kurze Distanz 400 Höhenmeter bis hinunter nach Field vorwiegend im Tunnel überwinden. Hier beginnt eine der steilsten Eisenbahnstrecken in den Rocky Mountains. 1884, als die Bahnlinie fertig gestellt war, führten die Gleise gerade ins Tal hinunter mit einer Steigung von 4,5 Prozent. Schon der erste Zug, der diesen Hang befuhr, entgleiste. Drei Männer kamen ums Leben. Danach hielten die Züge am Gipfel an, um die Bremsen zu überprüfen, bevor sie langsam ihren Weg fort setzten. Damals waren vier Lokomotiven nötig, um den Zug vom Tal aus bergauf zutransportieren. Seine Höchstgeschwindigkeit betrug 5 Stundenkilometer.
Erst als die beiden Spiraltunnel fertig gestellt waren, konnte man den „Big Hill“ leichter bezwingen. Für Gesamtkosten von 1,5 Millionen Dollar gruben 1000 Männer die zwei Tunnel in die Berge. Der Röhre durch den Mt. Ogden, unterhalb des Aussichtspunkts am Transcanada Highway, hat eine Länge von 887 m. Die zweite Schleife durch die Cathedral Crags, oberhalb der Straße, ist 975 m lang. Der Bau dieses Tunnels reduzierte die Steigung auf 2,2 Prozent. Ein Zug gleicher Länge, der vorher 4 Loks benötigte, um den „Big Hill“ zu überwinden, konnte dies nun mit 2 Loks bei einer Geschwindigkeit von 25 Stundenkilometern.
Wir haben Glück und sind rechtzeitig auf der Aussichtsplattform. Die ersten Wagen verlassen gerade vorne den Tunnel, während die letzten oberhalb der Spirale noch gar nicht eingefahren sind. Eine geniale Ingenieursleistung.
Cathedral Mountain Lodge – wohnen und speisen unter mächtigen Baumstämmen
Beinahe hätten wir die Abfahrt verpasst, denn der Transcanada-Highway mündet jetzt in eine breite Talsohle vor dem Ort Field. Von Norden strömt der wilde Kicking Horse River unter einer Brücke hindurch. Direkt dahinter, etwas zwischen hohen Nadelbäumen versteckt, stehen goldfarbene Blockhäuser. Am oberen Rand der parkähnlichen Anlage spazieren zwei weibliche Weißwedelhirsche vorbei und fressen Kräuter am Wegrand.
Hier standen vor etwa 80 Jahren düstere Hütten für Minenarbeiter. Die Gegend ist sehr reich an verschiedenen Erzen und mancherorts sind an den Hängen noch Stolleneingänge zu erkennen. Seit einem halben Jahrhundert verliert dieser Erwerb immer mehr an Bedeutung. Die alten Unterkünfte machten modernen Blockhäusern Platz. Gäste aus aller Welt verweilen hier gerne auf der Reise durch die kanadische Bergwelt. Die jetzige Eigentümerin, Nancy Stibbard, kaufte die Lodge 2002 als Ergänzung zur Capilano Suspension Bridge in Vancouver und zur legendären Moraine Lake Lodge im Banff National Park.
Das Zentralgebäude mit Rezeption und Restaurant liegt nahe am schäumenden Fluss. Majestätische Stämme bilden das Grundgerüst für das Gebäude. Im Kamin prasselt das Feuer, schräg leuchtet die Herbstsonne durch die Fenster. Freundliches Personal bringt sofort Kaffee und erkundigt sich nach dem Reiseverlauf, der Herkunft und natürlich wie es sonst so geht. In diesem Pionierland sind Gäste immer gerne gesehen. Man schätzt die Konversation mit Menschen aus anderen Nationen. Wir genießen den Spätnachmittag und reservieren einen Tisch für das Abendessen, denn dieses mehrfach ausgezeichnete Restaurant ist auch im September noch sehr gefragt.
Gefährliche Hufe
Schon von der Ferne sehen wir das schmale, hohe Band des Wasserfalles. Die Takakkaw Falls stürzen nur wenige Kilometer von der Cathedral Mountain Lodge entfernt 380 m in die Tiefe. Die höchsten Wasserfälle Kanadas ziehen viele Besucher an. Spazierwege führen den Wildfluss entlang, der in den Bergen der Umgebung entspringt. Sprühregen wabert uns entgegen, als wir dem Sturzbach zu nahe kommen, wo die in unzählige Partikel zerteilte Wassermasse vor uns auf Felsblöcke stürzt. Diese Wasser münden schließlich auch in den Kicking Horse River, der seinen eigenartigen Namen von einem Pioniere erhielt, dessen Pferd nach ihm ausschlug und ihn dabei schwer verletzte. Der bislang namenlose Fluss, an dem sich diese Geschichte begab, erhielt auf diese Weise einen Namen. Bevor er sich in der Nähe von Golden mit dem Columbiaflusssystem vereint, gibt es noch zahlreiche Stromschnellen und Wasserfälle, manche sind sogar vom Transcanada-Highway aus zu sehen, andere in der Wildnis verborgen. Nach einem gemütlichen Abend im Restaurant schlafen wir in unserem Blockhaus bald ein.
Picknick unter dem Regenbogen
Am andern Morgen erwartet uns ein ausgiebiges Frühstücksbuffet. Auch heute bleiben wir dem Wildfluss und Wasserfällen treu. Auf dem Autodach und den Scheiben ist morgens Reif. Es ist ja schon spät im Jahr. Die Abzweigung von der Hauptstraße führt zu einem kleinen Parkplatz im Wald. Von hier aus wandern wir auf einem schmalen, aber gut sichtbaren Weg etwa 30 Minuten leicht bergab zu den Wapta Falls. Dabei unterhalten wir uns geräuschvoll, um Bären zu warnen, die möglicherweise in der Nähe unterwegs sind. Sie würden nahezu immer das Weite suchen, wenn sie Menschen hören. Während der letzten Minuten macht sich das Ziel bereits akustisch bemerkbar. Etwa 20 Meter stürzt der Kicking Horse River über einen Felsvorsprung. Eine noch bessere Aussicht als von oben bekommen wir aus der Froschperspektive. Jetzt im Herbst ist relativ wenig Wasser unterwegs, dennoch umfangen uns Sprühnebel und donnerndes Rauschen. Über allem steht ein leuchtender Regenbogen. Etwas weiter entfernt sind die herumliegenden Felsbrocken trocken. Der ideale Platz, um das Naturschauspiel während des Picknicks zu betrachten. Schon Übermorgen werden wir in Golden sein, dem nächsten größeren Ort in Richtung Westen.
Auskünfte über die Cathedral Mountain Lodge gibt es unter www.cathedralmountain.com.
Anmerkungen:
Vorstehender Artikel von Rainer Hamberger wurde am 30.4.2010 im WELTEXPRESS erstveröffentlicht. Siehe auch „Goldene Herbsttage in Golden – Serie: Unterwegs in der Bergwelt Westkanadas (Teil 2/2)“ von Rainer Hamberger.