Kapstadt, Südafrika (MaDeRe). Erst auf dem Landweg vom Atlantik bis zum Indischen Ozean erschließt sich die Vielfalt des Kontinents.
Behäbig wälzt er sich in seinem breiten Bett. Denn noch ahnt der mächtige Sambesi nichts von seinem Ungemach, das ihm als einem der größten Flüsse Afrikas unmittelbar bevor steht. Doch dann packt ihn ein jähes Erwachen, als ihn eine schroff nach unten abfallende Felswand von der Bettkante herab zu ziehen droht. Noch im Fallen entwickelt er Wut schnaubend eine tosend aufsprühende Gischt, die im Umkehrschub als „Donnernder Rauch“ vom Grund der breiten Felsspalte sogleich wieder nach oben zu entweichen versucht.
Für Afrikaforscher David Livingstone war dies die wohl beeindruckendste Visitenkarte, die ihm je von einem Naturschauspiel präsentiert wurde. Unterwegs auf einer Expeditionsreise von Kapstadt nach Luanda, wollte er im Jahr 1855 an dieser Stelle seinen Augen nicht trauen. Ob er sich wohl in diesem Moment schon der Ehre bewusst war, als erster Weißer die größten Wasserfälle der Erde entdeckt zu haben? Denn ein Denkmal unweit der gigantischen Abbruchkante zeigt ihn in mutiger und selbstbewusster Pose, mit der er sich damals offenbar diesem Naturereignis näherte.
The Pride of Africa
Auf seinen Spuren bewegt sich auch der bereits legendäre Rovos Rail, der sich unter seinem Ehrennamen „The Pride of Africa“ nicht nur in dieser Region höchster Wertschätzung erfreut. Von Kapstadt aus ist er unterwegs durch das südliche Afrika, vorbei an der Diamantenstadt Kimberley bis zur südafrikanischen Hauptstadt Pretoria, dem Heimatbahnhof des Zuges. Und dann zügig weiter über Gaborone in Botswana und Bulawayo in Simbabwe bis Victoria Falls in Hör- und Sichtweite der Fälle. Hier beginnt mit dem Ende der ersten Reisewoche bereits der erste nostalgische Rückblick auf die ausgefallene Schienensafari vom Atlantik bis zum Indischen Ozean.
Unmerklich mündet hier das Schnaufen der Diesellokomotive ein in die verdiente Verschnaufpause. Denn immerhin muss sie einen Lindwurm von einem halben Kilometer Länge durch die teils hügelige Landschaft ziehen. Insgesamt 21 im kolonialen Stil ausgestaltete Waggons, jeder davon mehr als zwanzig Meter lang und versehen mit mehreren Luxusabteilen. Da bleibt der Zugmaschine nichts weiter übrig, als sich mit ihren fast viertausend Pferdestärken mächtig ins Zeug legen. Dabei stets im Zweikampf mit dem in die Jahre gekommenen Gleiskörper, der zweifellos schon bessere Zeiten gesehen hat.
Unwägbarkeiten des Reiseabenteuers
Aber hatte nicht Rohan Vos, der Initiator und Namensgeber von Rovos Rail, beim Abschied aus Pretoria selbst von einem bevorstehenden „Abenteuer“ gesprochen? Von Unwägbarkeiten, die bei einer Schienensafari dieser Größenordnung nicht völlig auszuschließen seien. Nur eines könne er mit Sicherheit versprechen, und das sei die Ankunft des „The Pride of Africa“ an seinem Zielort Dar Es Salaam. Muss diese Aussage ohne konkrete Zeitangabe aber nicht eher als eine spezielle Variante südafrikanischen Humors gewertet werden?
Nach einem kurzen Abstecher zum Chobe-Nationalpark in Botswana, rückt die zweite Reisehälfte nun in unmittelbare Nähe. Vom Eingang des legendären Victoria Falls Hotels führt der kurze Fußweg direkt hinüber zum Bahnhof von Victoria Falls. Dort wartet am Zug bereits eine Gruppe einheimischer Tänzer, die mit ihren wilden Rhythmen die Stimmung anheizen. Ihr Gesang mündet ein in die ergreifend vorgetragene Afrika-Hymne, die nicht nur bei Einheimischen tiefe Emotionen freisetzt.
Mächtiger Brückenbogen
Doch lohnt es sich wirklich, nach Verlassen des Bahnhofs von Victoria Falls noch das eigene Abteil aufzusuchen? Denn nur wenige Kilometer entfernt wartet die Victoria Falls-Brücke, deren mächtige Stahlkonstruktion bereits seit kolonialen Zeiten in kühnem Bogen die 120 Meter tiefe Schlucht des Sambesi überspannt. Unsichtbar, aber nicht ohne politische Brisanz, verläuft quer über ihre Mitte die Grenze zwischen Simbabwe und Sambia, den Nachfolgestaaten des einstigen Rhodesiens.
Doch davon ist in diesem Augenblick der Begeisterung natürlich keine Rede. Denn sobald sich die Zugtüren mitten auf der Brücke öffnen, gilt das Interesse dem auf einem nahen Hügel gelegenen Aussichtspunkt. Von dort aus ist es möglich, für ein paar kostbare Minuten die Brücke samt Zug und Steilwand der Victoria-Fälle in Augenschein zu nehmen. Das ständige Klicken der Kameraverschlüsse hebt sich hier bereits deutlich ab von dem inzwischen schwächer gewordenen Geräusch der tosenden Wassermassen.
Afrikanische Savannenandschaft
Drinnen im Zug greifen nach Überqueren der Grenze zu Sambia wieder die lieb gewordenen Gewohnheiten um sich. Noch ist es nicht Zeit für das festliche Dinner, das allabendlich in den beiden stilvoll ausgestatteten Speisewagen von flinken Händen serviert wird. Stattdessen empfiehlt es sich, Position zu beziehen auf der Aussichtsplattform am Ende des Zuges, um von hier aus den Blick über die Schirmakazien und Baobab-Bäume der afrikanischen Savannenlandschaft schweifen zu lassen. Und zum Sonnenuntergang an der Bar einen Sundowner zu genießen, je nach Bedarf geschüttelt oder gerührt.
Der späte Nachmittag bietet zudem eine vorzügliche Gelegenheit, spannenden Geschichten zu lauschen, die sich um „The Pride of Africa“ ranken. Andreas, Chefreiseleiter von Format, erweist sich dabei als Meister seines Fachs. Seit seiner Komplettdurchquerung Afrikas mit dem Fahrrad hat er die Seele des Kontinents verinnerlicht und kennt sich bestens aus mit dessen Menschen, Tieren und Landschaften.
Gepard auf der Lokomotive
Mit etwas Glück erklärt sich auch Mart als die verantwortliche Zugmanagerin bereit, aus dem Nähkästchen ihrer langjährigen Reiseerfahrungen zu plaudern. Über die manövrierunfähige Lokomotive aus der Gegenrichtung, die den Rovos Rail auf der eingleisiger Strecke daran hinderte, die Reise planmäßig fortzusetzen. Und dazu noch ein Gepard auf der eigenen Lok, der selbst mutige Passagiere für mehrere Stunden am Aussteigen hinderte.
Auch ein aufdringlicher Pavian verhielt sich anders, als er sollte. Bei einem Halt des Zuges stieg er unangemeldet ein in das geöffnetes Fenster des Küchenwagens und erklärte sich selbstbewusst zum Eigentümer eines ansehnlichen Käserades, das für ein Picknick vorgesehen war. Mit kräftigen Bissen in den großen runden Laib machte er seine Besitzansprüche unumkehrbar und verschwand mit seiner Beute so plötzlich, wie er gekommen war.
Selous-Wildreservat
Je mehr sich der Rovos Rail den städtischen Zentren Sambias wie Lusaka oder Kapiri Mposhi nähert, umso mehr Kinder finden Interesse an dem nicht alltäglichen Anblick des Zuges. Aufgeregt rufend und freundlich winkend nehmen sie die Verfolgung auf. Bis die Entfernung zu der Aussichtsplattform am Ende des Zuges immer größer wird, von der aus die Grüße ebenso freundlich erwidert werden. Bis mit dem Großen Grabenbruch das Gelände immer unwegsamer wird und viele Steigungen, Brücken und Tunnels die Durchfahrt durch diese grandiose Vulkanlandschaft erschweren.
Doch schon entwickelt sich nach erneutem Grenzübertritt die Vorfreude auf das Selous-Wildreservat in Tansania. Hier scheint ein reicher Wildbestand geradezu darauf zu warten, von interessierten Besuchern aufgespürt zu werden. Dramatisch gestaltet sich aus dem Geländefahrzeug heraus die Verfolgungsjagd einer Löwin auf ein temperamentvolles Gnu, das sich, bevor es schließlich durch scharfe Krallen zur Strecke gebracht wird, geschickt und trickreich mit kräftigen Hufschlägen zu verteidigen weiß.
Deutsche Kolonialzeit
Von nun an ist es nicht mehr weit bis Dar Es Salaam. Hier an der Küste des Indischen Ozeans pulsiert nach zweiwöchiger Abgeschiedenheit das urbane Leben. So bereits am modern anmutenden Tazara-Zielbahnhof der tansanischen Metropole bei einem zünftigen musikalischen Empfang des Zuges. Im Unterschied dazu steht die genießerische Ruhe an einem der belebten schneeweißen Badestrände der Stadt.
Dann noch schnell ein echter Ausflug nach Bagamoyo, dem einstigen Zentrums des ostafrikanischen Elfenbein- und Sklavenhandels. Zwei florierende Wirtschaftszweige noch vor der deutschen Kolonialzeit, während der die kleine Stadt für kurze Zeit in den Status der Hauptstadt Deutsch-Ostafrikas erhoben wurde. Heute jedoch ist sie eher ein Ort für den Anflug heimatlicher Gefühle, die sich beim Anblick von Schule und Kaserne, Hospital und Friedhof unweigerlich einstellen.
Erfüllter Lebenstraum
Damit rundet sich das bunte Bild vom südlichen Afrika ab, von seiner teils bizarren Geschichte, seinen wundervollen Landschaften und seinen freundlichen Menschen. Mischt sich da in den Rückblick auf die erfolgreich absolvierte Reise mit dem „The Pride of Africa“ nicht auch ein wenig der Stolz, sich mit dem „Mythos Rovos“ einen lange gehegten Lebenstraum erfüllt zu haben?
Reiseinformationen “Rovos Rail”:
Anreise: Die Anreise erfolgt per Flug nach Kapstadt/Südafrika bzw. Dar Es Salaam/Tansania.
Einreise: Das erforderliche Visum für die Einreise nach Tansania wird über den Reiseveranstalter besorgt.
Reiseveranstalter: Lernidee Erlebnisreisen
Reisezeit: Rovos Rail-Reisen erfolgen jeweils im März und August/September. Vor- oder Verlängerungsreisen in die Serengeti, nach Sansibar oder Kapstadt können dazu gebucht werden.
Übernachtung: Übernachtet wird in eleganten und komfortablen Abteil-Suiten des Zuges, Deluxe-Hotels und Komfort-Safari-Lodges.
Sprache: Bordsprache ist deutsch.
Unterstützungshinweis:
Die Recherche wurde unterstützt von Lernidee Erlebnisreisen. Der Beitrag von Dr. Bernd Kregel ist eine Vollversion und Erstveröffentlichung im MaDeRe – Magazin des Reisens.