Nuuk, Narsarsuak, Qaqortoq, Grönland (MaDeRe). Die persönliche Entdeckung des europäischen Außenpostens am Polarkreis beginnt an seiner grünen Südspitze.
Ist das nicht ein Bild für die Götter? Wenn eine von blühendem Grün überzogene Landschaft am Horizont verschmilzt mit den gezackten Gipfeln einer Gebirgskette, auf der puderzuckriger Neuschnee seine nächtlichen Spuren hinterlassen hat. Und die davor sich ausbreitende Ebene zerteilt wird von einem Fjord, auf dem vom Salzwasser fantasievoll zurechtgestutzte Eisberggiganten in strahlendem Weiß dem offenen Meer entgegen treiben.
Und wenn dann noch im Vordergrund ein von vulkanischer Bodenheizung aufgewärmtes Wasserbecken bei angenehmer Körpertemperatur dampfend für unerwartete Badefreuden sorgt und dadurch das Wohlbefinden an Leib und Seele auf die Spitze treibt. Ohne Übertreibung ist dies ein Ort, der es wahrscheinlich erscheinen lässt, dass ihn einst auch die nordischen Götter nach Erledigung ihrer jeweiligen Amtsgeschäfte zur Entspannung für sich zu nutzen wussten.
Familienstreit nach Wikinger Art
Stand ihnen doch nur noch kurze Zeit zur Verfügung. Denn schon zeichnete sich um die Jahrtausendwende mit der Ankunft der Wikinger am Horizont Südgrönlands eine Götterdämmerung ab, bei der es dem verschlagenen Göttervater Wotan und seinem göttlichen Hofstaat gehörig an den Kragen gehen sollte. Und dies aufgrund eines Familienstreites nach Wikinger Art, bei dem Erik der Rote als der Entdecker der riesigen Eismeerinsel als der eindeutige Verlierer hervorgehen sollte.
Denn dieser stand als glühender Verehrer der nordischen Götterwelt in seinem Glauben so fest wie ein Fels in der Brandung. Doch ausgerechnet sein eigener Sohn Leif Eriksson brachte eine neue Glaubensrichtung auf die Tagesordnung, dazu angetan, seinem Vater den bewährten Götterglauben madig zu machen. So wie auch seine Frau Tjodhilde, die mit ihren weiblichen Waffen gar noch schwerere Geschütze auffuhr: „Erik“, so ließ sie ihn mit Nachdruck wissen, „in Zukunft werde ich nicht mehr mit dir reden, essen und schlafen, wenn du nicht eine Kirche für mich baust!“ Diese Drohung saß. So sah sich der raue Haudegen innerhalb kürzester Zeit genötigt, klein beizugeben.
Durchsetzungskraft nordischer Frauen
Eine überzeugende Kostprobe von der Durchsetzungskraft nordischer Frauen liefert Edda Lyberth, die am Ort des einstigen Geschehens diese pikante Geschichte zum Besten gibt. Angetan mit knallroter Wikingerkleidung läuft sie im rekonstruierten Holzhaus Eriks und Tjodhildes zur Höchstform auf. Und lässt dabei in Tonfall und Mimik keinen Zweifel daran, dass es ohne das von der willensstarken Gattin eingeforderte neue Gotteshaus keinen Kompromiss gegeben hätte.
Erst wenige Jahrzehnte ist es her, seit hier in der kleinen Siedlung Quassiarsuk die Überreste des einstigen familiären Zankapfels freigelegt wurden. Genau an der Stelle, wo auch Tjodhilde als erster Mensch des grönländisch-amerikanischen Kontinents christlich getauft wurde. Doch letzterer musste erst noch entdeckt werden. Eine Aufgabe, die Sohn Leif Eriksson von hier aus in der Aufbruchstimmung der neuen Glaubensrichtung bereits fünfhundert Jahre vor Kolumbus mit Erfolg erledigte.
Farbenprächtig bemalte Häuser
Wie schon zur Zeit Eriks begegnet Südgrönland auch heute noch als nahezu unberührte Natur im Gewand eines unüberschaubaren, ja bizarren Labyrinths von milchig schimmernden Fjorden und Wasserwegen. Umso farbenprächtiger leuchten die menschlichen Siedlungen hervor. So wie das nahe am Meer gelegenen Städtchen Qaqortoq, das aus der Ferne einem Spielzeugkasten mit bunten Holzklötzchen gleicht. Halbkreisförmig verteilen sich die schmucken Häuser über die umliegenden Berghänge an einer kleinen Bucht und umgeben den Boots- und Verladehafen wie ein farbiger Fächer. Bestens dazu angetan, in den dunklen Wintermonaten das eingeschränkte Sonnenlicht mit ihrer eigenen Strahlkraft auszugleichen.
Angrenzend an eine kleine Schiffswerft ziehen gleich nach dem Anlegen die in dunklem Rot gestrichenen Produktionshallen der renommierten Pelzfabrik „Great Greenland“ die Aufmerksamkeit auf sich. Hier werden in runden Trommeln wie in riesigen Waschmaschinen die von Seehundjägern abgelieferten Felle zur Weiterverarbeitung in der Textilabteilung des Hauses vorbereitet. In metallischem Silber leuchtende modische Stücke, die weltweit nicht nur in der Damenwelt Anklang finden, wie Werksmitglied Paul Stoiberg bei einer kleinen improvisierten Modenschau voller Stolz erklärt.
Bestandskontrolle als Artenschutz
An der Pelzindustrie seines Landes und besonders seiner eigenen Pelzfabrik sieht er bei kritischer Rückfrage jedoch nichts Verwerfliches. Denn das Jagen der jährlich zum Abschuss frei gegebenen Seehunde gehört seiner Meinung nach nicht nur zur traditionellen Ernährungskultur der Grönländer. Zudem sei bei einer geschätzten jährlichen Geburtenrate im Millionenbereich in den Küstengewässern Grönlands die zahlenmäßige Kontrolle der Seehundbestände zugleich ein Teil des Artenschutzes.
So bezaubernd wie der erste Eindruck von Qaqortok erweist sich auch der Kern der Altstadt vom Ende des 18. Jahrhunderts. Aus dieser abenteuerlichen Zeit der Gründerjahre hält Stadtführer Torben Stoltze in der schmucken alten Holzkirche des Städtchens zu diesem Gebäude eine unglaubliche Geschichte bereit. Hergestellt in Norwegen und sicher verladen für den Wasserweg, geriet das Transportschiff kurz vor dem grönländischen Zielort beim Aufprall auf einen Felsen in Seenot und verlor die ungewöhnliche Ladung in den Fluten. Genau dieser Moment wird bis in die Gegenwart gefeiert als die große Stunde der einstigen Gründungspioniere von Qaqortoq. Denn ohne zu zögern fischten diese das Treibgut aus dem Meer und fügten es wie geplant zusammen zu dem noch heute benutzten Gotteshaus.
Gastfreundschaft weitab der Zivilisation
Improvisationstalent gehört stets dazu, um hier – besonders in der Winterzeit – den Herausforderungen der weitgehend ungezähmten Natur zu trotzen. Davon wissen auch Makkak und Lars Nielsen ein Lied zu singen. Zwar haben sie sich auf ihrer Schaffarm am Ende des Kangerluarsorujuk-Fjords mitten in der Natur inzwischen komfortabel eingerichtet. Doch wenn im Frühjahr mehr als 700 Lämmer das Licht der Welt erblicken, nimmt hier die durchgehende Geburtshilfe drei lange Wochen in Anspruch.
Bei aller Arbeit jedoch, die hier anfällt, sind Makkak und Lars ein Musterbeispiel für Gastfreundschaft. Und wenn die herzliche Gastlichkeit noch eines Beweises bedarf, dann ist es das Abendessen, das deftig und gehaltvoll von Makkak aufgetragen wird. Natürlich Lamm und Hammel nach Art des Hauses in allen Variationen. Zart zubereitet und serviert in aromatischer Soße mit eingelegtem Rettich und saftigen Kartoffeln. Bei angeregtem Gespräch über das Leben in der Wildnis wird die Farm einen ganzen Abend lang zu einem wundervollen Ort der Besinnung und Entspannung.
Zeugnis der nordischen Sagenwelt
Doch immer wieder sind es die Wikinger, die die Aufmerksamkeit für sich beanspruchen. Niemand kann sich bis heute einen rechten Reim darauf machen, warum sich nach fünfhundert Jahren des Inseldaseins ihre Spur urplötzlich verliert. Was sie an baulichen Hinterlassenschaften zurück ließen, ist jedoch immer noch geeignet, Erstaunen hervorzurufen. So die in ganz Grönland am besten erhaltene Kirchenruine von Hvalsey, die mit einer Hochzeit im Jahre 1408 sogar in die nordische Sagenwelt Einzug hielt. Ähnlich schwergewichtig auch die Wikinger-Kirchenruine von Igaliku, einem schmucken Dörfchen, das auch als die idyllischste Siedlung in ganz Südgrönland gefeiert wird.
Dies ist die Heimat von Jozef Motzfeld, dessen Familie es einst von Lübeck über Norwegen hierher verschlug. Hier legte er, wie er in einem Gespräch gesteht, an der kleinen Dorfschule den Grundstein für seine Karriere als Vorsitzender einer fortschrittlichen Inuit-Partei, als Außen- und Finanzminister bis hin zum Parlamentspräsidenten Grönlands. Eine herausgehobene Funktion, die er bis zum Jahr 2012 innehatte. Bevor er sich hierher an den Ausgangspunkt seines Wirkens zurückzog und nun – bei etwas Glück – interessierten Gästen mit seinem umfangreichen Wissen über die Eismeerinsel in einem Gespräch zur Verfügung steht.
Eisabenteuer im Gletscherfluss
Stets jedoch führt der Weg wieder hinaus in die freie Natur. Und ganz gewiss zu der spröden Gletscherzunge des Qooroq-Gletschers, der hier als südlichster Ausläufer des gewaltigen Grönland-Eisschildes Respekt einflößt. Mit lautem Knacken gebiert die fast hundert Meter hohe Abbruchkante zahlreiche Kälber, die als Eisschollen dicht gedrängt in einem Eisfjord zum offenen Meer hin das Weite suchen. So spiegelglatt und rutschig an ihrer Oberfläche, dass der abenteuerliche Kurzausflug außerhalb der sicheren Bootsplanken die Gleichgewichtsorgane aufs Äußerste beansprucht.
Fehlt nur noch das Farbspiel am nächtlichen Himmel, um das Grönland-Erlebnis komplett zu machen. Doch der erhoffte „Polarlicht-Alarm“ lässt auf sich warten. Reisebegleiter Mads Skifte als Kenner der wahren Verhältnisse teilt nicht die Ungeduld seiner Gäste und verweist auf die dunklen Winternächte. In dem von seinem Blick ausgehenden Leuchten jedoch glaubt die Fantasie bereits einen Vorgeschmack auf das zu erwartende Farbspektakel zu erkennen.
Fotoreportage
Mehr Bilder in der „Fotoreportage: Holiday im Eis“ von Dr. Bernd Kregel.
Reiseinformationen „Südgrönland“
Anreise: Zwei Flugrouten: über Kopenhagen mit Air Greenland nach Narsarsuaq, www.airgreenland.com oder mit Icelandair, Air Iceland über Reykjavik nach Narsarsuak, www.icelandair.de
Einreise: Grönland gehört über Dänemark zum Schengen-Bereich. Daher genügen zur Einreise der Reispass oder der Personalausweis.
Reisezeit: Neben der Sommer-Reisezeit von Juni bis August locken als Ski- und Nordlicht-Abenteuer auch die Wintermonate von September bis April.
Unterkunft: Narsarsuaq: Hotel Narsarsuaq, www.hotelnarsarsuaq.gl; Qaqortok: Hotel Qaqortok, www.hotel-qaqortok.gl; Kangerluarsorujuk: kang27@greennet.gl; Igaliku: www.blueice.gl/Igaliku_accomodation.html; Ipiutak: Ipiutak Guest Farm, www.ipiutak.gl
Auskunft: Agenturen: www.greenland.com, www.greenlandtravel.dk, www.blueice.gl, www.topas.dk
Reiseführer: Sabine Barth, Grönland, Dumont Reise-Taschenbuch 2012, 2. aktualisierte Auflage mit Extra-Reisekarte und 10 Entdeckungstouren, ISBN 978-3-7701-7307-5, Preis: 16,99 EUR (Deutschland)