Regensburg, Nürnberg, Deutschland (MaDeRe). Auslaufen um 14 Uhr zum Mittagessen. Der rumänische Kapitän muss seinen „Liner“ rückwärts aus der Hafen-Sackgasse manövrieren, denn die Steinerne Brücke ist zu schmal und niedrig für das große Schiff. An Backbord feiert Regensburg lautstark, jung, fröhlich und bunt. Auch auf dem 97 Jahre alten Seitenrad-Schleppdampfer RUTHOF von 1923, dessen zwei lange Schornsteine die Hafenszenerie überragen. Ich habe mir natürlich das Donau-Schifffahrtsmuseum angesehen, das auf dem historischen Schiff untergebracht ist. Für einen Ex-Donau-Matrosen ein erinnerungsträchtiges Muss. Das vor ihm liegende Motorzugschiff FREUDENAU habe ich selbst noch in Fahrt erlebt.
Kapitän Cristian Tapoi hat jetzt nur noch Augen für die voraus in Sicht kommende Schleuse Regensburg. Sanft gleitet der Flussriese in die Kammer. Abends präsentiert Weinexpertin und Sommelière Gerhild Burkhard bei einer gemeinsamen Verkostung „Die besten Weine der Donau“: ob frischen Grünen Veltliner aus der Wachau, köstlichen Weißwein aus Ungarn oder süffigen rumänischen Rotwein.
Stunden später tastet sich MS RIVER VOYAGER durch die Nacht. Ihre Scheinwerfen bestrahlen die ideale „Freischütz“-Kulisse aus Wald und Fels. Mitternacht, Geisterstunde: Mystisch wabern feurige Nebel über das Wasser, als würde es kochen. Das Schiff ist am Scheideweg. Dabei bleibt ihm keine andere Wahl, als „rechts abzubiegen“ in den Main-Donau-Kanal. Der beginnt bei Kelheim.
Vor dem Aufstehen wird es noch mal richtig dunkel. Kann doch nicht sein, oder? Fenster auf – und schon weiß man mehr. RIVER VOYAGER ist in eine Schleuse eingelaufen. Zentimetergenau. Links und rechts bleibt kaum noch Luft für den 11,45 Meter breiten Pott. Die Fahrstuhlfahrt geht weiter nach oben. Nach 17 Metern kann man erleichtert feststellen: Und es ward Licht im Kanal. Maisen zwitschern ihr Morgenlied dazu, ein Bussard kreist wachsam über dem Schiff.
Es duftet würzig nach frisch gemähtem Gras, blühenden Blumen und Harz. Felder, Wiesen und Wälder begleiten das Schiff auf seiner geruhsamen Fahrt „zu Berg“, so dass sogar Radfahrer es überholen. Auf den Saumpfaden links und rechts halten Jogger, Nordic Walker, Angler, Hundebesitzer und Schiffegucker inne und bestaunen den Kreuzfahrer mit dem schweizerischen Heimathafen Basel.
Überall, wie es scheint, Natur pur. Dabei galt das zwischen 1959 und 1992 gebaute Jahrhundertbauwerk bei Umwelt- und Naturschützern viele Jahre als heftig umstritten. Heute nutzen auch diese Menschen die Vorzüge der Kanallandschaft und sind – wie an fast allen Kanälen – vom Wasser und seinen Möglichkeiten fasziniert. Bester Beweis dafür: ihr ausgelassenes Winken.
Ferdinand Selig nennt die Grunddaten des Wasserwegs über den Fränkischen Jura: 171 Kilometer Länge zwischen Bamberg und Kelheim; Höhenunterschied von 243 Meter, der durch 16 Schleusen (190 Meter lang, 12 Meter breit, Hubhöhe: 5,29 bis 24,67 Meter; Wasser wird aus Zuflüssen und „Sparbecken“ bezogen, aus dem das Wasser entnommen und wieder zugeführt wird) überwunden wird. Jede Schleusung wird untermalt von einer typischen „Melodie“: den in ihren Laufschienen kreischenden Schwimmpollern. Mit dem jeweiligen Wasserstand werden sie auf- oder ab bewegt.
Der Kanal hat eine Breite von 55 Metern und eine Tiefe bis vier Meter. Dazu kommen noch 125 Brücken (Durchfahrtshöhe mindestens sechs Meter), fünf Unterführungen und fünf Wasserpumpwerke. Summa summarum wurden 2,6 Millionen Tonnen Kubikmeter Beton und 189.000 Tonnen Stahl verbaut. Alles schlug mit 4,7 Milliarden D-Mark zu Buche. Gigantisch! Mit dem Bauwerk war die 3500-Kilometer-Route von der Nordsee ans Schwarze Meer komplett. Das jährliche Transportvolumen von rund sechs Millionen Tonnen rechnet sich.
Vor dem Frühstück mit Kanalblick Backbord voraus eine schräge, hohe Betonmauer. Zwischen Kilometer 102 und 103 symbolisiert sie die europäische Main-Donau-Wasserscheide über den Mittelgebirgs-Kamm des Jura. RIVER VOYAGER erweist ihr die Referenz auf der magischen Linie – fast wie am Äquator – in 406 Metern über Meereshöhe. Mit 16 Kilometer Gebirgsfahrt kann der Main-Donau-Kanal einen Rekord verbuchen, der höchstgelegene Europas zu sein. Von hier geht´s nur noch bergab, auch Talfahrt genannt. Fast 25 Meter senkt die Superschleuse Hilpoltstein die Schiffe ab. Das ist deutscher Rekord gemeinsam mit ihren „Kollegen“ Leerstetten und Eckertsmühlen.
Am Kai in Nürnberg wird dann die „Aussichtsterrasse“ geöffnet: open top, Oberdeck frei! Danach versperren wieder Ketten den Weg nach oben. Bis zum Ende der Reise wird das mit wenigen kurzen Ausnahmen leider so bleiben.
Anmerkung:
Die Recherche wurde von Nicko Cruises unterstützt.