Neuruppin, Brandenburg, Deutschland (MaDeRe). Es war das am meisten überraschende Geschenk zum vergangenen Weihnachtsfest: Eine Reise zu Fontane. Zum Schriftsteller, der selbst gern auf Reisen ging. Ich überlege, wann ich ihm zum letzten Mal direkt begegnet bin, in seinen Werken, natürlich. In „Effi Briest“ oder in „Frau Jenny Treibel“? Oder im „Stechlin“, in „Irrungen, Wirrungen“, bei den „Poggenpuhls“? Zugegeben, es ist eine Weile her. Was ich aber sicher weiß, ich bin Fontane immer auch gern auf seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ gefolgt und habe mich an seiner launigen Schreibe ergötzt. Brandenburg, seine und auch meine Heimat.
Doch noch nie war ich in Neuruppin, seiner Geburtsstadt. Jetzt, zum 200. Jahrestag seiner Geburt, sollte es also sein. Auf nach Neuruppin, mit so etwas gemischten Gefühlen. Die Stadt liegt etwa 70 Kilometer nordwestlich von Berlin, aber in tiefster brandenburgischer Provinz. Man nähert sich ihr durch Wiesen, Wälder, kleine Orte mit wenigen Häusern, Bauernhöfen. Auch nach dem Ortseingangsschild „Fontanestadt Neuruppin, Kreisstadt von Ostprignitz-Ruppin“ bleiben die Bilder noch eine ganze Weile erhalten.
Doch schließlich tauchen Kirchturmspitzen auf, irgendwann nähert man sich dem Stadtkern. Wer hätte das gedacht: Dieses Neuruppin ist eine der flächenmäßig größten Städte Deutschlands! Die Stadt ist direkt mit ihren Ortsteilen Alt-Ruppin und der Kernstadt Neuruppin am Ruppiner See gelegen. Außerdem erstreckt sie sich über die Ruppiner Schweiz bis in die Wittstock-Ruppiner Heide, die durch ihre einsame Lage (leider) auch als Truppen-Übungsplatz diente. Das ist zum Glück vorbei.
Doch zurück zur Stadt Neuruppin. Besiedelt wurde die Gegend am Ruppiner See schon in der Steinzeit – von Germanen, von Slawen. Viel später auch von Hugenotten. Übrigens: zwei von ihnen waren Fontanes Eltern. Das Stadtrecht bekam der Flecken bereits 1256, und die Stadt hieß damals schon Ruppin nach der gleichnamigen Burg. Stadtmauern und Wallgräben, drei Stadttore und die Nikolaikirche wurden errichtet.
Teile der mittelalterlichen Stadt sind bis heute erhalten – so das Siechenhospital, die Sankt-Georgs-Kapelle und große Teile der Stadtmauer, des Seeviertels sowie der Klosterkirche Sankt Trinitatis, dem Wahrzeichen der Stadt. Im 17. Jahrhundert war Neuruppin eine der ersten Garnisionsstädte von Brandenburg und verlor diesen Status erst mit dem Abzug der sowjetischen Streitkräfte aus Deutschland.
Ende des 18. Jahrhunderts zerstörte ein riesiger Flächenbrand fast die gesamte Stadt. Der Wiederaufbau verschlang über eine Million Taler, erfolgte dafür aber nach einem intelligenten Grundriss des damaligen Stadtbaudirektors Bernhard Mattias Brasch: Er plante ein rechtwinkliges Straßennetz. Lange und breite Straßen, große baumbestandene Plätze und stilvolle Häuser prägen seither das in dieser Originalität einzigartige klassizistische Stadtbild. Zu DDR-Zeiten wollte man die Stadt „modernisieren“ – sprich: die alten Gemäuer sollten abgerissen werden. Glücklicherweise wurde aber die historische Altstadt davon verschont – es fehlte einfach das Geld. Allerdings verfiel die Stadt zusehends, und so entschloss man sich in den 1980er-Jahren zur Rekonstruktion des historischen Stadtkerns.
Im Mai 2011 erhielt die jodhaltige Thermalsole Neuruppin, in 1700 Metern Tiefe gelegen, die erste staatliche Anerkennung einer Heilquelle im Land Brandenburg. Die Sole wird zum Heizen genutzt, vor allem aber auch für den Wellness-Betrieb in der Fontane-Therme im Herzen der Stadt und direkt am Ruppiner See gelegen. Damit ergab sich ein Aufschwung des Tourismus, der durch kluges Management seither gefördert wird. Und es ist gelungen, vor allem auch die Hauptstädter in die Provinz zu locken. Wer einmal da war, wird sich kaum für immer verabschieden.
An allen Ecken und Enden der Stadt entsteht Neues in bester Harmonie mit dem Historischen. Als sichtbar moderne Architektur fügt sich das Wellness-Resort Mark Brandenburg am klaren Ruppiner See, mit traumhaftem Seeblick und wohltuender Ruhe und Entspannung in der Fontane-Therme ein. Im Heilwasser schweben, auf Deutschlands größter schwimmender Seesauna schaukeln und sich anschließend direkt im Ruppiner See abkühlen – Erholung pur. Mit dem Angebot einer Auszeit „Fontane ganz entspannt“ lockte das Resort in diesem Jahr nach Neuruppin – zu Wellness-Erlebnis und Wandern auf den Spuren des großen Schriftstellers im Jahr seiner Geburt vor 200 Jahren. Eine kluge Idee. Und warum in die Ferne schweifen…
Zum Programm gehört natürlich der Abstecher zum Geburtshaus Theodor Fontanes. Oben lebte die Familie, unten betrieb der Vater die Löwenapotheke. Nicht viel weiter in Richtung Marktplatz ging Fontane zur Schule – im Alten Gymnasium. Beide Häuser sind wohlbehalten. Und dann natürlich, ein paar Schritte weiter, das Museum der Stadt in einem klassizistischen Bürgerhaus aus dem Jahre 1791, dessen Ausstellungen sich immer und in diesen Tagen ganz besonders mit Fontane beschäftigen.
Eine Fülle von Veranstaltungen sind organisiert worden, die sich um Leben, Wirken und Eigenheiten des Schriftstellers ranken und einen Blick in die Zeit vor 200 Jahren gewähren. Mit viel Einfühlungsvermögen und guten Ideen wird Fontane auch den Kindern nahegebracht. Und schließlich hat er auch für sie gedichtet. Wer kennt nicht den Herrn Ribbeck auf Ribbeck im Havelland mit seinen von den Kindern so geliebten Birnen? Oder die zu Herzen gehende Geschichte um den Steuermann John Maynard, der das brennende Schiff an Land brachte und selbst dabei ums Leben kam?
Auch wenn man die „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ mit großem Interesse und Freude an seinen Wortschöpfungen gelesen hat – erst hier in Neuruppin, in diesem Museum, das auch andere Persönlichkeiten der Stadt wie Karl Friedrich Schinkel in einen historischen Rahmen rückt, kommt man Fontane richtig nahe. Eigentlich keine leichte Aufgabe: Wie stellt man einen Dichter aus? Nein, man findet hier nicht seine ersten Schuhe. Allerdings die Standuhr, die zur Stunde seiner Geburt am 30. Dezember 1819 und zur Stunde des Todes seiner Mutter am 13. Dezember 1869 in Neuruppin sowie seinem Wunsch gemäß auch zur Stunde seines Todes am 20. September 1898 in Berlin schlug.
Man wandert quasi durch sein Leben anhand von Zitaten aus seinen Werken, anhand von quasi Zwiegesprächen mit Persönlichkeiten seiner Zeit – entnommen aus den Briefwechseln. Man wird auf verschiedene Art fündig. So erschließt sich, woher er seine Ideen für Bücher und Figuren hatte. Durch die Räume begleiten den Besucher seine Wortschöpfungen – wie Weltverbesserungsleidenschaft, Volksbeglückungsprogramm, Tempelritterkenntnis, Trommelfellaffektion oder Bleistiftstrichelcher, an denen er sich sicher ebenso erfreute wie seine Leser.
Fontane schrieb als Schüler, als Journalist für Zeitungen und schließlich als Schriftsteller. Er war nach seinen Worten ein Allesnotierer, Wortsammler, Schreibdenker und Vielkorrigierer. Es zog ihn hinaus in die Welt, aber er kehrte immer wieder zurück. Sein Schreibtisch stand in Berlin, doch im Herzen war er ein Neuruppiner, ein Märker. Sehr wichtig war es ihm, diese Wanderungen durch die Mark zu beschreiben – nicht vom Schreibtisch aus, sondern während er sie durchstreifte.
Er wanderte durchs Ruppiner Land und durchs Oderland, durchs Havelland und durchs Spreeland. Ja, auch durchs Spreeland, das sich heute Spreewald nennt. Darüber schrieb Fontane, als er 1859 „durch die märkische Streusandbüchse“ in diese Gegend fuhr. In Lübben staunte er über „Oleanderbäume“, in Lehde über die „Lagunenstadt im Kleinformat“. Lübbenau nannte er das „Vaterland der sauren Gurke“.
Allgemein gab er zu bedenken: „Wer in die Mark reisen will, der muss zunächst Liebe zu Land und Leuten mitbringen, mindestens keine Voreingenommenheit. Er muss den guten Willen haben, das Gute zu finden, anstatt es durch krittliche Vergleiche totzumachen. Es gibt gröbliche Augen, die gleich einen Gletscher oder Meeressturm verlangen, um befriedigt zu sein. Diese mögen zu Hause bleiben.“ Sag ich doch.
Doch wer die Reise durch die Mark trotzdem wage, der solle es nicht bereuen: „Du wirst Entdeckungen machen“, versprach er. Große Wandbilder in kleinen Dorfkirchen, Wendenkirchhöfe und Heidengräber. „Das Beste aber, dem du begegnen wirst, werden die Menschen sein“, meinte Fontane, der in seiner Zeit so treffend über Menschen befand, dass er heute so aktuell ist wie damals: „Gegen eine Dummheit, die gerade in Mode ist, kommt keine Klugheit auf.“, und: „Haltet die Bösen immer voneinander getrennt. Die Sicherheit der Welt hängt davon ab.“