Branitz, Cottbus, Deutschland (MaDeRe). In Zeiten von Corona… Geht das schon wieder los? Nein, reden wir nicht davon, vom Eingesperrtsein in die vier Wände, vom Verzicht, von Krankheit. Reden wir davon, was geht: Nicht in die Ferne schweifen, sich des Guten erinnern, das so nah ist. Gehen wir doch einfach mal an die Orte, an die wir wohl unsere Besucher führen, die wir aber viel zu selten allein für uns erkunden. Nehmen wir mal meine Heimat Brandenburg. Mitten in einer herrlichen Seenlandschaft und einen Katzensprung vom Spreewald entfernt, liegt Cottbus. Die Stadt hat schon öfter mal für Schlagzeilen gesorgt und ist deshalb einigermaßen bekannt im gesamten Bundesgebiet, im guten wie im weniger guten Sinne. Doch wer weiß schon, dass die Lausitz-Metropole ein weltbekanntes fürstliches Erbe bewahrt?
Am Rande der Stadt hat ein begnadeter Landschaftsarchitekt sein Lebenswerk geschaffen. In Branitz bei Cottbus – heute gehört der Ort zum Stadtgebiet –, in einer eher kargen Sandwüste, legt der exzentrische Hermann Fürst von Pückler-Muskau im Alter von 61 Jahren einen englischen Landschaftspark an, den er selbst als sein „Meisterwerk“ bezeichnet. Pückler, der neben Lenné zu den bedeutendsten deutschen Gartengestaltern des 19. Jahrhunderts gehört, hat hier ein Gartendenkmal von internationalem Rang erschaffen. Warum hat er sich um alles in der Welt aber gerade die brandenburgische Streusandbüchse dafür ausgesucht? Warum bleibt er nicht in Muskau, wo er am 30. Oktober 1785 geboren wird und nach dem Tod seines Vaters, des Grafen Ludwig Carl Hans Erdmann, die Standesherrschaft Muskau erbt – seinerzeit der größte Besitz auf deutschem Gebiet?
Da kennt man den Fürsten aber schlecht, wenn man meint, er hätte tatenlos an einem Ort verharren können. Zwar hat er sich schon frühzeitig für Gartengestaltung interessiert, doch ebenso interessiert ist er an weiten Reisen, Liebesabenteuern und aufsehenerregenden Auftritten. So wagt er 1815 mit dem Luftschiffer Gottfried Reichard seine erste Luftreise mit Ballon über Berlin, die nahe Potsdam unsanft endet. Aufsehen erregt, als er mit Kutsche und vier vorgespannten weißen Hirschen vor dem berühmten Berliner Café Kranzler parkt. Selbst die Berliner Zeitung vom 20. April 1836 fragt sich: „Wer ist dieser auffallende fremde Mann, mit seiner am Stock befestigten Lünette, mit seinem blauen Frack und hellen Beinkleidern, mit seiner etwas eingeschobenen, gebogenen Nase und bleichem Gesichte?“ In Ägypten und im Sudan verewigt er sich mit seinem Namenszug an Tempeln der Pharaonen, den er wie ein frühes Grafitti beispielsweise am Eingang zum Tempel Abu Simbel hinterlässt – ich traute meinen Augen kaum, als ich sein Gekrakel neben berühmten Hieroglyphen entdeckte.
Doch er kommt immer wieder zurück nach Muskau, wo er 30 Jahre an einem Landschaftspark arbeitet, der seit 2004 zum UNESCO-Welterbe gehört. Bald schon kommt er aber an sein finanzielles Limit. Was tun? Nun, er war sehr clever und heiratet 1817 eine reiche, allerdings auch neun Jahre ältere Frau. Lucie von Hardenberg ist die Tochter des preußischen Staatskanzlers Karl August von Hardenberg, und sie teilt Pücklers Gartenleidenschaft und den Plan für den grandiosen Park an der Neiße. 1822 wird Hermann von Pückler-Muskau von seinem Schwiegervater in den Fürstenstand erhoben. Durch diese Auszeichnung eines sächsischen Adligen erhofft sich Preußen, in den neuerworbenen Gebieten Sympathien zu gewinnen. Der Fürstentitel schmeichelt Pückler sehr, beschert ihm aber keine finanzielle Vorteile. Im Gegenteil: Der höhere Rang erfordert ein entsprechendes Auftreten und verursacht somit zusätzliche Aufwendungen. Allein das Fürstendiplom kostet ihn 4000 Taler. Schon bald ist auch Lucies Vermögen, nicht zuletzt durch den extravaganten Lebensstil des Fürsten, dahingeschmolzen und ein Schuldenberg aufgetürmt. Die Pleite und der Verkauf von Schloss und Park drohen. Es ist ihre Idee, sich jetzt von Pückler scheiden zu lassen, um in England eine neue reiche Braut zu finden.
Drei Jahre lang ist er erfolglos auf Suche und schreibt seiner Lucie, die er noch immer Lucie, Luziee, Ziege, Heidschnucke, Schnucki, Herzensschnucke, Schnuckilein oder vielgeliebtes Schnuckentier nennt, von Studien in englischen Parks und Gärten, freimütig auch von seinen erotischen Umtrieben. Sie scheint das übrigens recht gelassen zu nehmen und veröffentlicht sogar aus den 1500 Briefen, die er ihr aus England schreibt, die „Briefe eines Verstorbenen“. Das auch von Goethe hoch gelobte Buch erscheint 1830 und wird ein Bestseller. Doch auch der Erlös kann die Talfahrt nicht langfristig aufhalten. Ende 1834 geht Pückler abermals auf Reisen, um auf irgendeine Art zu Geld zu kommen. Völlig mittellos, bleibt er sechs Jahre im Orient und kommt mit rassigen Pferden und Kamelen, mit Turban und kostbarer orientalischer Kleidung herausgeputzt, nach Muskau zurück. Vor allem sein Auftreten hat ihm wohl goldene Türen geöffnet.
Und nicht nur das: Auf dem Sklavenmarkt in Kairo hat er sich ein minderjähriges Mädchen, eine dunkelhäutige Schönheit aus Äthiopien, gekauft. Alle Eskapaden hat Lucie, die Schnucke, ihrem Hermann, den sie zärtlich Lou nennt, durchgehen lassen. Aber eine Sklavin aus Ägypten, ein Kind noch, von deren Reizen er schwärmte – das war ihr zuviel. Doch die Freude war ohnehin bald vorbei, denn bald schon stirbt Machbuba – zu deutsch: „Die Goldene“ oder „Mein Liebling“, wie Pückler sie nennt – an Tuberkulose. Ihr eigentlicher Name war Ajiamé, und ihr Grab liegt auf dem Friedhof von Muskau.
Pückler muss 1845 Muskau schließlich hochverschuldet verkaufen, und auf Wunsch seiner Schnucke, die er nicht missen mag, ziehen sie 1852 nach Branitz in ein spätbarockes Schloss. Nun also kommt Branitz nahe Cottbus wieder ins Spiel, ein Dorf damals, das Graf August Sylvius von Pückler neben Kiekebusch und Haasow 1696 erworben hat. Und Schloss Branitz ist Stammsitz der gräflichen Familie von Pückler, das Herrenhaus seiner Ahnen, doch inzwischen mächtig heruntergekommen. Fast siebzigjährig, drängt Schnucke ihren Lou, hier einen Park zu gestalten. Und der Fürst beginnt tatsächlich, wie einst in Muskau, in der kargen Landschaft Berge von sandiger Erde zu bewegen – nur mit Schaufel und Spaten. „Ich büffle unterdessen hier in Branitz wie ehemals in Muskau, um wieder eine neue Oasis in der Wüste zu schaffen, was einmal meine Bestimmung hienieden zu sein scheint“, schreibt er 1847 an den damaligen Muskauer Superintendanten.
Für elegant geführte Seen- und Wasserläufe hat er Wasser aus der Spree abgeleitet, elf Kilometer geschwungene Wege und sanfte Hügel angelegt. Später hat er auf einer Insel im neu angelegten See, auf dessen Aushub, seine Wasserpyramide errichtet. Direkt gegenüber erhebt sich die Landpyramide. Er verpflanzt hohe Bäume nach englischem Vorbild zu perfekt gestalteten Gehölzkompositionen. Das gelingt ihm mit großen Pflanzwagen. In die ausgehobenen Pflanzgruben legt er zunächst tote Tiere, angeblich sogar Kühe – damit sollten die Bäume besser anwachsen. Die direkte Umgebung des Schlosses gestaltet Fürst Pückler nach englischem Vorbild als üppig und prachtvoll ausgestatteten Pleasureground. Wie die Räume im Schloss, sollen die einzelnen Sondergärten innerhalb des Pleasuregrounds als „Salons unter freiem Himmel“ variieren, als die „Grünen Salons“ des Branitzer Parks, der sich auf 112 Hektar Fläche als landschaftsarchitektonische Komposition erstreckt. Zusammen mit dem Vorpark sind es gar 622 Hektar.
Hört sich das jetzt so an, als ob der Fürst das allein geschaffen hätte? Ohne seine Schnucke, die ihn immer wieder drängt, die Sandwüste zu verwandeln, hätte er sein Werk wohl nicht vollendet. Als der Architekt Gottfried Semper nach Branitz kommt und Pückler ihm seinen Plan vorträgt, hält der ihn angesichts des verwahrlosten Gutsbesitzes für einen gelungenen Aprilscherz. Doch Pückler hatte zu dem Zeitpunkt schon eine Menge Bäume angeschafft und mit den Pflanzungen begonnen. Er sieht sich inzwischen seinem Gestaltungszwang wie einer Krankheit ausgeliefert, und so entsteht also der Branitzer Park, das Meisterstück des Fürsten, der übrigens auch maßgeblichen Anteil an der Gestaltung unter anderem der Parks von Babelsberg und Neuhardenberg und des Pariser „Bois de Bologne“ hat.
Nach nur wenigen Monaten im Branitzer Schloss erleidet Lucie einen Schlaganfall und stirbt zwei Jahre später. Pückler ist zu der Zeit gerade wieder einmal auf Deutschlandtour. Auch zum Begräbnis, nach Lucies Wunsch auf dem alten Friedhof des Vorparks, kommt er nicht. Doch der Verlust schmerzt ihn sehr. Er hat sie immer wieder betrogen, sie verlassen und ihr dennoch immer wieder zu Füßen gelegen. „Was hilft mir ein schöner Park, wenn ich ihn nicht von der Schnucke bewundern lasse und mich mit ihr darüber zanken kann?“, fragt er sich. Nach ihrem Tod reist Pückler zwei Jahre durch die Gegend, kehrt dann nach Branitz zurück und führt ein offenes, gastfreundliches Haus, lädt sich honorige Gäste ein und erhebt – auch durch seinen Lebensstil – Branitz aus seinem provinziellen Dasein. Meisterhaft versteht er es, sich auf jedem Parkett in Szene zu setzen. Er stirbt am 4. Februar 1871 und wird im Tumulus, der Seepyramide, beigesetzt – der Körper nach seiner Anweisung zersetzt in einer chemischen Lösung, das Herz in einer kupfernen Urne mit Schwefelsäure übergossen. 1884 wird Lucie umgebettet und liegt nun an seiner Seite.
Fürst Pückler ist nicht nur einer der genialsten Gartenkünstler der Geschichte. Er gehört zu den schillernden Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts, ist Abenteurer, Salonlöwe, Weltreisender und Visionär. Doch hat er nicht auch das Pückler-Eis erfunden, dieses verschiedenfarbige Halbgefrorene, das ich als Kind eher ekelig fand, weil es immer so schnell zerlaufen ist? Nein. Hat er nicht. Pückler hat lediglich einem Konditor ein dreischichtiges Sahneeis gewidmet, aus dem sich später das Rezept mit Erdbeer-, Vanille- und Schokoladen-Eis entwickelt hat. Gut, dass Pückler nicht nur diesem Eis seinen Namen gegeben hat.
Fürst-Pückler-Park, Museum und Schloss Branitz
Adresse: 03042 Cottbus
Heimatseite im Weltnetz: www.pueckler-museum.de