York, England, Vereinigtes Königreich (MaDeRe). Der weltweit bekannte Künstler Tony Cragg setzt seine abstrakten Skulpturen kühn vor die spektakuläre Architektur des englischen Barockjuwels von Castle Howard, pflanzt sie in die uferlosen Weiten dieser herrlichen Parklandschaft, welche das berühmte Schloss umgibt – er setzt seine in Murano gefertigte Glasplastiken in die prunkvollen Innenräume und kontrastiert kühn moderne Materialien wie Aluminium („Industrial Landscape“), Polyester vor die grandiose, graue Barock-Architektur, setzt knallig-orange Farbakzente in die üppig-grüne Natur: Ein atemberaubendes Erlebnis, das uns diese Ausstellung bis September beschert. Erstmals dient dieses Schloss, das jährlich eine Viertelmillion Besucher (!) anzieht, als Schauplatz einer umfassenden zeitgenössischen Skulpturenschau.
Am einen Ende der Achse, die am Haupteingang des Schlosses vorbeiführt, steht wie als steinerner Auftakt ein riesiger Obelisk, doch das Podest auf dem gegenüberliegenden Hügel, inmitten eines geheimnisvollen Reservoirs (das die barock-prachtvollen Springbrunnen unten im Schlosspark speist), blieb jahrhundertelang leer – zugleich Herausforderung aber auch Verlegenheit. Jetzt thront hier während diesem halben Jahr die über fünf Meter golden ausladende Skulptur Craggs, passend betitelt „Over the Earth“ (2015) – vielleicht wird anschliessend das Podest auf ein neues Kunstwerk warten? Wie lange? Der Weg führt durch einen Wald mit feuerrot, rosa goldgelb und violett leuchtenden Rhododendron- und Azaleen-Büschen, die gerade jetzt in Hochblüte stehen hin zum prachtvollen Barocktempel der „Vier Winde“ (ursprünglich „Tempel der Diana“, 1738). Im Innenraum hat Cragg eine zwei Meter Hohe, äusserst fragile Skulptur „Eroded Landscape“ aus opaken Glasgefässen aufgerichtet. Unsichtbar aber doch stark – wie es nur die hier beschworenen Winde sind. Vor der Hauptfassade des Schlosses mit seinem einzigartigen Kuppelturm steht Craggs Bronzeskulptur „Masks“.
Der englische Bildhauer Tony Cragg wurde 1949 geboren und lebt seit 1977 in Deutschland – er zählt inzwischen zu den führenden plastischen Künstlern des beginnenden 21. Jahrhunderts . Bereits 1970 erregte er internationale Aufmerksamkeit, als er anlässlich der „Silver Jubileee Sculpture Exhibition“ zu Ehren der Queen in London u.a. neben Henry Moore seine Plastiken präsentierte. Im persönlichen Gespräch betonte er, dass er sich nie dafür interessierte, Dinge und Lebewesen nachzuahmen, also etwa Portraitköpfe und Pferdeskulpturen herzustellen, sondern aus sich heraus eigene Realitäten zu erschaffen und diese der Natur und Architektur gegenüber zu setzen.
Diese Architektur ist einzigartig. Castle Howard gilt als Großbritanniens berühmtestes Landhaus. Der Palast, 15 Meilen nördlich der mittelalterlichen Stadt York, nach wie vor von den Nachkommen der hocharistokratischen Howard-Familie bewohnt, wurde während mehr als einem Jahrhundert errichtet – er wurde bereits 1699 begonnen und 1811 vollendet – umgeben von einer weitläufigen (5300 Hektaren umfassenden) Parklandschaft aus Wäldern, Seen und landwirtschaftlich genutzten Gebieten. Der Palast erhielt im 19. Jahrhundert sogar seine eigene Bahnstation! Castle Howard ist der erste englische Barockpalast, inspiriert an europäischen Vorbildern. Berühmt wurde der hoch aufragende Turm über der streng symmetrischen Fassade mit seiner im Innern mit Fresken reich bemalten Kuppel, die viel eher an eine italienische Barockkirche als an ein englisches Landhaus erinnert.
Am Morgen des 9. November 1940 ereilte das Haus die Katastrophe: Im Südostflügel des Palastes brach ein Grossbrand aus und, weiter angefacht durch starke Winde, breitete sich im Rest des riesigen Gebäudes aus. Prachtvolle Räume mit unersetzlichen Kunstgegenständen wurden ein Raub der Flammen. Es stellte sich die Frage, die Ruine abzureissen – oder zumindest teilweise wieder neu aufzubauen. Der Erbe der Familie, George Howard – nach dem Tod seiner beiden Brüder bei Kampfhandlungen im Zweiten Weltkrieg ohnehin vom Schicksal heimgesucht – fasste den kühnen Entschluss zum Wiederaufbau. Doch die immensen Kosten machten (endlich) 1952 die Öffnung des Hauses für das Publikum sinnvoll und notwendig. Seither haben Millionen von Besuchern, mit und ohne Hunde, den Palast besichtigt und die Landschaftsgärten durchwandert. Zusätzlich wurde Castle Howard bekannt durch wichtige Kinofilme wie „Barry Lindon“ und die TV-Adaption von Evelyn Waugh’ s „Brideshead Revisited“.
Reisehinweise:
Mehr über Castle Howard: https://www.castlehoward.co.uk
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