Wittstock, Brandenburg, Deutschland (MaDeRe). Man kennt das oder hat davon gehört und gelesen. Wenn irgendwo gegraben wird, kann es passieren, dass man auf besondere Dinge stößt, die erhalten und zum Teil auch ausgegraben werden müssen. Bestes Beispiel Neapel, wo man die U-Bahn an einer Stelle nicht weiterbauen kann, weil zwei antike Schiffe aus der Römerzeit zum Vorschein gekommen sind.
Ähnlich war es auch in der im Norden des Landes Brandenburg gelegenen Prignitz. Bei Baggerarbeiten in einem Gewerbegebiet südlich der Stadt Wittstock im Jahr 2007 stießen die Arbeiter auf zahlreiche Skelette. Eine archäologische Ausgrabung dokumentierte und barg die Überreste von 125 Männern. Die Masse der Hieb- und Schussverletzungen an den ausschließlich männlichen Skeletten und weitere Untersuchungen am sechs Quadratkilometer großen Schlachtfeld bestätigte, dass es sich um Soldaten aus der Schlacht bei Wittstock im Jahr 1636 handelte. Über 2.700 Funde kamen ans Tageslicht, Munition, Teile der Bewaffnung, Kleidung, Schmuck und Ausrüstungsgegenstände. 15 verschiedene Analysen konnten sogar die Lebensläufe der Männer rekonstruieren. Ein zwischen 25 und 30 Jahre alter Schotte mit Bauchschuss, ein junger Finne mit Schädelhieben, ein junger Deutscher mit Armbruch, Brustschuss und Hieb auf das Knie und und und. Gedenktafeln im Boden erinnern an sie.
Die Schlacht bei Wittstock
im Jahr 1636 gehört zu einem der entscheidendsten Gefechte im Dreißigjährigen Krieg. Am Gedenkort, der nach dem Fund auf dem Bohnekamp am Scharfenberg errichtet wurde, wurde eine von zwei stillgelegten Wasserkavernen zur Aussichtsplattform umfunktioniert. Im Inneren sollen im abgedunkelten „Raum der Stille“, einer Grabkammer nachempfunden, künstlerisch nachgestellte Skelette und Körpersilhouetten zum Nachdenken anregen. Massengräber aus dieser Zeit sind übrigens weitgehend unbekannt, umso sensationeller dieser Fund.
Das Museum zum Dreißigjährigen Krieg befindet sich in der Alten Bischofsburg der Wittstocker Altstadt, die von einer gut erhaltenen Stadtmauer umgeben ist.
Die Prignitz als archäologische Fundstellen
Die Prignitz auf halber Strecke zwischen Berlin und Hamburg ist nicht nur ein Paradies für Ruhesuchende und Naturfreunde, auch für Geschichtsentdecker von der Steinzeit über das Mittelalter bis hin zum Dreißigjährigen Krieg. Wie kaum eine andere Region in Deutschland weist die Prignitz eine außergewöhnlich hohe Dichte an historischen Schätzen auf. 3.000 archäologische Fundstellen zeugen vom reichen Erbe der brandenburgischen Reiseregion. Sechs Zentrale Archäologische Orte (ZAO) wurden als herausragende Bodendenkmale eingestuft und in der Broschüre „Zeitschätze Prignitz“ zusammengefasst und beschrieben.
Der älteste und wohl auch ohne viel Fantasie nachvollziehbare Fund ist das Hünengrab von Mellen aus der Jungsteinzeit, das schon seit 1887 unter Denkmalschutz steht. Die über 30 Tonnen schweren Findlinge wurden um 3300 v. Chr. zu einer 22 mal acht Meter großen Grabkammer angeordnet, doch ihr Inneres wurde bisher nicht enthüllt. Warten wir ab.
Das Königsgrab von Seddin gilt mit seinen wertvollen Schätzen als die bedeutendste Grabanlage des 9. Jahrhunderts v. Chr. im nördlichen Mitteleuropa. Die Decke der Grabkammer aus neun senkrecht im Kreis angeordneten Steinen wurde gewölbeartig aufgeschichtet, sodass ein hohler 1,70 Meter hoher Innenraum entstand, der Platz für mehrere Personen bot. Woraufhin dann der Erdhügel aufgeschüttet wurde.
Viele Besucher lassen es sich nicht nehmen, in den Hohlraum hinabzuklettern, aber auch den ganzen Grabhügel zu umrunden. Erst der Fund einer kostbaren und extrem seltenen Amphore aus sehr dünnem Bronzeblech mit einem Dekor aus Buckeln und der Asche eines 30 bis 40 Jahre alten Mannes zusammen mit Gegenständen wie Schwert, Bronzekamm und Bronzemesser erlaubt die Einschätzung, dass es sich bei dem Toten um einen Sakralkönig handelte, also um einen König, der über Wunderkräfte verfügt. Aus den Dichtungen des Homer kennt man sie, weshalb Beisetzungen von bedeutenden bronzezeitlichen Männern in Metallgefäßen auch als „Homerische Bestattungen“ bezeichnet werden. Das Königsgrab von Seddin sei ein Indiz für die reiche und herrschaftliche Vergangenheit der Region, meinen die Forscher.
Die verschwundene Burg von Perleberg und Schloss Freyenstein
Im Stadt- und Regionalmuseum der Kreisstadt Perleberg können Kopien der Funde aus dem Königsgrab besichtigt werden, aber auch Altertümer aus der Stadt selbst.
Von Bedeutung ist der Nachweis einer bislang unbekannten Burganlage, die sich heute im „Archäologischen Park Freyenstein“ befindet. Ersten dendro-chronologischen Daten nach zu urteilen ist sie schon früh wieder eingeebnet worden. Im Jahr 1287 veranlassten die Brandenburgischen Markgrafen die Neugründung des als „wüst“, also verlassen, gefallenen Ortes Freyenstein. Im Park spaziert man heute durch die versunkene Stadt – zum Marktplatz, ohne viel davon zu sehen, und zur „Burg“. Sie ist durch vier Fahnenstangen gekennzeichnet und mit bemalten aufgehängten Laken umgeben, auf denen das höfische Leben dargestellt ist. So einfach geht das. Nun, ein Feldsteinkeller eines mittelalterlichen Bürgerhauses ist freigelegt für die museale Präsentation. Und durch Gucklöcher sind sowohl Burg und Stadt zu sehen, obwohl sie nicht existieren. Lustig.
Da freut man sich doch, dass es im heutigen Ort das neue Schloss Freyenstein aus dem 16. Jahrhundert und das alte gibt, beide innen wie außen restauriert. Das alte ist eine Augenweide mit Terrakotta-Figuren an der Fassade und mit einem Abort-Erker… Den Trausaal im Inneren kann man empfehlen, fein herausgeputzt.
Zur Aufmunterung könnte man sich noch Schloss Meyenburg ansehen. Allein der in den 1860er Jahren entstandene Landschaftspark ist sehenswert. Aber auch das Modemuseum, das die wohl umfangreichste europäische Modesammlung der Kleidermode des 20. Jahrhunderts von 1900 bis 1970 zeigt. Sie wurde von der Ostberliner Sammlerin Josefine Edle von Krepl zusammengetragen.
Die Burg Lenzen mit Blick ins Biosphärenreservat Elbtalaue
Auch Burg Lenzen lohnt einen Abstecher. Vom Museum steigt man die bequeme Holztreppe hoch zum Aussichtspunkt auf dem mittelalterlichen Burgturm mit Blick ins Unesco-Biosphärenreservat Elbtalaue. Der Burghügel der Burg birgt die Geheimnisse slawischer Siedler, die sich in der Prignitz niedergelassen hatten.
Das über 1000jährige Lenzen beeindruckt durch schiefe alte Häuschen, manche kurz vor dem Verfall, aber allesamt romantisch und viel aufmunterndes Fachwerk dazwischen.
Anmerkung:
Vorstehender Beitrag von Elke Backert ist eine Erstveröffentlichung im Magazin des Reisens. Die Recherche wurde unterstützt vom Tourismusverband Prignitz e.V.