Würzburg, Deutschland (MaDeRe). Die Reise geht nach 18 Uhr weiter. Bei Kilometer Null dreht MS RIVER VOYAGER aus dem Main-Donau-Kanal in den Main. Das Stichwort für Kreuzfahrtleiter „Ferdi“: „So wie sie fließt – in vielen Mäandern – wurde der Fluss auch von den Kelten genannt: Schlange. Für die Römer hingegen war er schlicht nur der Moenus“. Sein doppelter Ursprung liegt, wie man erfährt: als Roter Main in der Fränkischen Alb und als Weißer im Fichtelgebirge. Beide Quellflüsse vereinigen sich südwestlich von Kulmbach. Schiffbar ist er auf 386 Kilometern Länge zwischen Bamberg und Mainz. Die RIVER VOYAGER hat noch 37 Schleusen vor sich, die zwar alle 300 Meter lang und 12 Meter breit sind, aber dem Schiff seitlich kaum Luft lassen.
„Was ist, wenn…“, löchern einige Gäste Ferdi, und er pariert gekonnt wie humorvoll die Fragen zur Schiffssicherheit. Auch Fragen zur umweltfreundlichen Abgasreinigung der 2000-PS-Maschinen oder die saubere Abwasseraufbereitung. „Ein tolles Schiff!“, hört man in der Runde, womit auch die geschmackvoll dezente Inneneinrichtung gemeint ist. Den Flussabend auf dem Weg nach Würzburg beschließt eine gut besuchte „Genussreise in fünf Bieren“, präsentiert in der Lounge von Roland Graf, Beerkeeper und Autor des Magazins „Falstaff“. Da schlürft man den kräftigen „Alten Franken“ aus Hammelburg, das exotische „Weizen India Pale Ale aus Bayreuth, süffiges „Rotbier“ aus Nürnberg, das rauchige „Aecht Schlenkerla Rauchbier“ aus Bamberg und das fruchtige „Pale Ale“ aus Seeon. Alles unter dem Motto: „Stadt – Bier – Fluss“.
High noon: 12 Uhr mittags. Voraus zeigt sich alles überragend Würzburgs Kirchturm-Skyline, vor allem der St. Kilian-Dom aus dem 11. Jahrhundert. Irgendwie steht das der Hauptstadt des bayerischen Regierungsbezirks Unterfranken auch zu. „Keine Angst“, beruhigt „Ferdi“ die Gäste, „wir schauen sie nicht alle an, die 50 Kirchen!“ Noch viel mehr Studenten zählt die Bischofsstadt: 50.000 kommen auf nur 130.000 Einwohner. Die vielen, gemütlichen Kneipen profitieren davon, denn sie sind abends immer brechend voll.
Eine Stadt mit jungem Flair, aber mit langer Tradition. In den letzten Kriegstagen im März 1945 wurde das Zentrum zu 95 % in Schutt und Asche gebombt. „Die Bausünden der sechziger Jahre“, so „Ferdi“, „sieht man leider noch heute“.
Dass man auf historischem Boden wandelt, erschließt sich dem Besucher spätestens dann, wenn er über die Alte Mainbrücke aus Römerzeiten geht. „Was hat man Ihnen in Regensburg erzählt?“, fragt der Reiseleiter, „dass ihre Steinerne Brücke die älteste sei? Falsch, das ist eindeutig unsere!“ Allerdings, schränkt er ein, sei sie zerstört und im 15. Jahrhundert wieder aufgebaut worden. Ihre charakteristischen Heiligenfiguren wurden ihr erst 1730 aufgesetzt. Auch so eine Frage für das beliebte Stadt-Land-Fluss-Quiz.
Die Schönbornstraße führt schnurstracks vom Dom auf ein weiteres Würzburger Highlight zu: die Residenz. Ihr erster Bauherr, Fürstbischof Johann Philipp Franz von Schönborn, setzte auch sich damit ein Denkmal. Kirchenfürsten waren damals eben auch ganz weltlich orientierte Herrscher, die beeindrucken und repräsentieren wollten. „Heute“, ergänzt der Reiseführer, „werden sie nur noch als Persönlichkeiten geachtet“.
Architekt Balthasar Neumann machte sich einen Namen durch das heute UNESCO-weltberühmte stützenfrei überwölbte Treppenhaus: überwältigend! Auch das 18 mal 30 Meter messende Deckenfresko. Es ist größer als das in der Sixtinischen Kapelle und stellt die vier Erdteile dar. In unglaublich greifbarer Plastizität gemalt von dem Venezianer Giovanni Battista Tiepolo. Der eitle Fürstbischof von Greifenklau ließ sich darin abbilden, wobei ihm die Dame „Europa“ leicht bekleidet zu Füßen liegt. „Ein Traum von ihm“, ergänzt der Reiseleiter lächelnd. Amerika stellte Tiepolo als „unzivilisierten“ Kontinent dar.
Der vergoldete Spiegelsaal, so etwas wie das Bernsteinzimmer Würzburgs, in acht Jahren für sechs Millionen D-Mark restauriert, weckt unterschiedliche Emotionen: bei den lebenslustigen Süddeutschen „Ah und Oh!“, bei den eher nüchternen Norddeutschen „Nein, so was!“
Die leuchtenden Fresko-Farben, die auf frischen Putz aufgetragen werden, haben im Übrigen einen ganz menschlichen Hintergrund: „Dem Maler“, erzählt der Reiseleiter schmunzelnd, „war oft der Weg zur Toilette zu weit, so dass er statt dessen schnell mal den Farbeimer benutzte. Urin mal mit positiven Folgen“.
Noch eine Legende: Als sich Österreichs Kaiserin Maria-Theresia einmal langfristig „zum Abendessen“ ankündigte, musste Tiepolo den Kaisersaal ausgestalten. In neuneinhalb Monaten schuf er das Stuck-Kunstwerk. Als die Dame schließlich kam, rauschte sie erhobenen Hauptes hindurch, ohne die künstlerischen Mühen auch nur eines Blickes zu würdigen. Das war zu viel für den Italiener. Er betrank sich tagelang sinnlos mit Frankenwein. Seine Trauben gedeihen auf Muschelkalk bis mitten in die Stadt hinein.
Ihre Audienzen führten die Herrschaften gern am Kamin durch. Aber nicht zu dicht am Feuer, dann hätten sie nämlich „ihr Gesicht verloren“. Der noch heute gültige Spruch geht darauf zurück, dass häufig hässliche Syphilisnarben verdeckt werden sollten. Saß man zu dicht am Feuer, fing die weiße Abdeckpaste an zu tropfen und man war ob seiner „fleischlichen Sünden“ bloßgestellt. Dann war eben nicht mehr „alles in Butter“. Die Wurzeln dieser Worte stammen aus jener Zeit, als Butter noch zum Konservieren von Lebensmitteln benutzt wurde.
Die Zutaten zum Abendessen an Bord – mit appetitanregendem Blick auf Käppele-Kapelle und Festung Marienberg – sind frisch und werden gänzlich anders als zu Schönborns oder Greifenklaus Zeiten aufbewahrt und zubereitet: wie zum Beispiel das heutige Menü aus Gurkencapaccio, Spargelcremesuppe, gefüllten Canelloni mit Trüffel und Ziegenkäse, Auberginentaschen an Paprikasauce mit Polenta, Mousse au Chocolat auf Grand Marnier-Orangensauce oder frischem Obstsalat.
Da bleibt quasi zur Verdauung nur der Weg von der romanischen Basilika St. Burkhard hinauf zur Festung Marienberg, schon von Weitem eine Augenweide. Silvaner-, Kerner- und Rieslang-Hänge säumen den Weinwanderweg unterhalb der mächtigen Burgwälle. Schon im achten Jahrhundert befand sich ein Kastell der fränkisch-thüringischen Herzöge. Ab 1200 entstand auf dem Bergplateau eine ungewöhnlich große Burg, die im Spätmittelalter und in der Renaissance ausgebaut und erweitert wurde. 1631 erstürmten im Dreißigjährigen Krieg die Schweden unter Gustav Adolf die Anlage. Fürstbischof von Schönborn ließ daraufhin den Marienberg mit einem Kranz gewaltiger Bastionen umgeben. 1945 brannte die Festung, eines der bedeutendsten Schlösser Europas, fast ganz aus. Der Wiederaufbau dauerte bis 1990. Ihre barocke Architektur mit Türmen, Brücken, dem 104 Meter tiefe Brunnen und der Fürstengarten wecken Märchenassoziationen, obwohl es hier gar nie märchenhaft zuging.
„Nur wir machen hier blau“, wirbt das im Obergeschoss untergebrachte Mainfränkische Museum für seine in blau gehaltene Porzellansammlung. Einen „inspirierenden“ Schoppen aus dem Anbau des Staatlichen Hofkellers von 1128 in der Burgschänke – mit 180-Grad-Blick über die Stadt – sollte man sich allerdings ohne schlechtes Gewissen gönnen. Der Ausflug „Blick hinter die Kulissen eines Gourmet-Restaurants“ gerät zu einer Lehrstunde der besonderen Art mit Vorträgen des „Rebstock“-Hotel- und Küchenchefs über den Alltag einer Sterne-Gastronomie samt Verkostung von Amuse-Gueule – Häppchen vom Feinsten. Da kostet ein Acht-Gänge-Menü mit Wein auch schon mal rund 200 Euro.
Anmerkung:
Die Recherche wurde von Nicko Cruises unterstützt.