Genf, Schweiz (MaDeRe). Martin Luther ist gerade in aller Munde. Das Reformationsjubiläum erinnert an seinen Einfluss auf das Christentum. Dabei wird gern vergessen, dass es die Anhänger von Johannes Calvin waren, die das Gedankengut der Reformation in die Welt trugen; nach Schottland oder Nordamerika, bis in die Südsee.
Es wurde kritisiert, dass die Evangelische Kirche bei den Jubiläumsfeierlichkeiten so stark auf Luther setzt. Der eignet sich eben zu gut als Sympathieträger. Gutmütig und lebensfroh blickt er aus dem berühmten Cranach-Porträt. Luther liebte gutes Essen und die Musik; mit den einfachen Leuten sprach er auf Augenhöhe. Calvin dagegen – hageres Antlitz, ernster Blick und langer Spitzbart – wirkt eher einschüchternd. Während Luther sich als leutseliger Prediger verstand, war Calvin ein disziplinierter, pflichtbewusster Bücherwurm. Die Mitmenschen fürchteten seine Reizbarkeit und scharfe Ironie. Getroffen oder geschrieben haben sich die beiden Reformatoren übrigens nie.
1509, ein Vierteljahrhundert nach Luther, kommt Calvin im nordfranzösischen Noyon zur Welt. Als Theologiestudent in Paris überträgt Jean Cauvin seinen Namen ins Lateinische. Da die evangelisch Gesinnten in Frankreich verfolgt werden, zieht er bald in die Schweiz, wo sich die Anhänger der Reformation um Ulrich Zwingli scharen.
Nur widerwillig lässt sich der Bücherwurm Calvin überreden, beim Aufbau des Kirchenwesens in Genf mitzuhelfen. 1536 hat sich die Stadt für protestantisch erklärt und zugleich die unabhängige Republik ausgerufen – per Volksentscheid.
Doch die ersten Reformversuche gehen schief. Calvin findet keine Mehrheit im Bürgerrat und wird verbannt. Während eines dreijährigen Aufenthalts in Straßburg nimmt er immer wieder an Einigungsversuchen teil, um die Wogen zwischen Protestanten und Katholiken zu glätten. Wie auch Luther, liegt Calvin eine Spaltung der Kirche fern.
Unterdessen versinkt in Genf das politische und kirchliche Leben im Chaos. Calvin wird eindringlich um Rückkehr gebeten. Und so lässt er sich 1541, mit 32 Jahren, endgültig in der Stadt nieder.
Seit jeher war Genf ein wichtiger Handelsposten – dank der günstigen Lage zwischen Alpen und Jura, der Rhone und dem türkis schillernden Genfersee. Die Handelswege kreuzten sich auf dem zentralen Marktplatz, der Place du Bourg-de-Four, der heute allerorten mit Cafés und ihren Außenterrassen bestückt ist.
Die Altstadt zwängte sich auf einem Hügel zwischen wuchtige Befestigungswälle. Noch heute begegnet man hier Calvin auf Schritt und Tritt: Die schmale, steile Straße, in der er wohnte, ist nach ihm benannt. In der mittelalterlichen Kathedrale, wo er einst predigte, steht sein hölzerner Lehnstuhl.
Abgesehen von den bunten Kirchenfenstern wirkt die Kathedrale karg, wurden doch Dekor und Malereien im Zuge der Reformation entfernt. Wer die 157 Stufen des Kirchturms erklimmt, wird mit einem Panoramablick auf Bergketten und See belohnt.
Neben der Kathedrale steht eine kleine, schlichte Kapelle mit Spitzbogen-Pforte, die Calvin als Hörsaal für seine Vorlesungen nutzte. Um den theologischen Nachwuchs zu schulen, gründete er die Akademie, den Vorläufer der heutigen Universität. So legte er die Weichen dafür, dass sich Genf zum „protestantischen Rom“ entwickelte.
Bald wurde die Stadt zur Zuflucht für verfolgte Glaubensgenossen aus Frankreich, Schottland, Holland oder Italien. Die Bevölkerung innerhalb der engen Stadtmauern verdoppelte sich auf rund 20.000 – sogar die Häuser mussten aufgestockt werden. Zugleich trugen die Fähigkeiten der Flüchtlinge – darunter Lehrer, Ärzte, Uhrmacher und Kaufleute – zu einer wirtschaftlichen Blüte bei.
Näheres über Calvin und seine Wirkung erfährt man im Museum der Reformation, das in einem prächtigen klassischen Stadtpalais residiert. Stundenlang könnte man hier im Musikzimmer den Klängen der Reformation lauschen; von Hugenotten-Psalmen bis zu Luther-Chorälen.
Ausflugswert bietet ein Besuch des Literaturmuseums Fondation Bodmer, das in den Weinhügeln liegt, mit weitem Blick über den See. Es besitzt zahlreiche Schätze der Reformationszeit: ein Plakat mit Luthers Thesen, einen Brief aus der Feder Calvins; oder eine reich dekorierte Gutenberg-Bibel, die einst dem Zaren gehörte.
Entlang der Seepromenade geht es zurück in die Stadt, wo ein riesiges Freiluft-Denkmal an die Ereignisse der Reformation erinnert. Es stammt von Paul Landowski, der auch die Christus-Statue in Rio de Janeiro entworfen hat. In Genf setzte er eine hundert Meter lange Mauer aus hellem Stein gegen den Befestigungswall des Altstadthügels. Davor stehen vier überlebensgroße Skulpturen, die Hauptfiguren der Genfer Reformation. Calvin, am Spitzbart leicht erkennbar, ist der zweite von links.
Nach seinem Tod 1564 wurde der ernste Reformator ohne Pomp beigesetzt; nicht einmal einen Grabstein wollte er. Seine Grabstätte auf dem Genfer Prominenten-Friedhof besteht aus kniehohen immergrünen Büschen, umringt von einem gusseisern Zaun, davor eine nackte Steinplatte – schlicht und schmucklos, wie es Calvins Charakter entspricht.
Informationen:
Mehr touristische Informationen über Genf unter www.geneve.com/de im Weltnetz.