Schwedt/Oder, Deutschland (MaDeRe). Ein Angler wittert Beute zwischen Schiff und Pier. Als wir den Vorhang des Kabinenfensters am nächsten Morgen öffnen, fällt ihm beinahe die Rute aus der Hand: zwei „große Fische“ hinter Glas starren ihn an. Schreck in der Morgenstunde – auf beiden Seiten.
Die Gäste genießen die Fahrt auf der künstlich angelegten Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße. Sie verläuft parallel zur Ostoder durch den Nationalpark Unteres Odertal, einer von zwölf in Deutschland. Er ist Teil eines deutsch-polnischen Naturschutzprojektes, das ein Gebiet von 106 Quadratkilometern umfasst und sich von der Schleuse Hohensaaten über eine Länge von 60 Kilometern bis vor die Tore Stettins erstreckt.
Die Flussaue ist von vielen Altarmen durchzogen. Während bei anderen deutschen Flüssen Hochwasser schnell zur Gefahr werden kann, ist es an der unteren Oder alljährliche Normalität, dass Tausende Hektar Wiesen und Weisen, Auwälder und Moore meterhoch überflutet werden. Nirgendwo sonst in Europa sind derart große natürliche Überflutungsräume erhalten geblieben. Zusammen bilden diese Flächen ein riesiges Rückhaltebecken, in dem sich das Hochwasser verlaufen kann, ohne flussabwärts Schaden anzurichten. Gleichzeitig wirkt die überschwemmte Aue wie eine überdimensionale biologische Kläranlage mit Gratis-Säuberung des belasteten Flusswassers.
Die vom Menschen unbeeinflusste Renaturierung hat Erstaunliches bewirkt: einen der artenreichsten Lebensräume Deutschlands. Dazu zählen Auwälder, naturnahe Laubmischwälder oder das nordwestlichste Verbreitungsgebiet der Steppenzone mit blaublühendem Kreuzenzian, silbrigem Federgras oder gelbem Adonisröschen. Die außerordentlich reiche Wasservogelwelt ist unter internationalen Schutz gestellt worden. Mehr als 120 Vogelarten brüten im Nationalpark, darunter See-, Fisch- und Schreiadler, viele Weißstörche, der seltene Schwarzstorch sowie die weltweit vom Aussterben bedrohten Seggenrohrsänger und Wachtelkönige.