Berlin, Deutschland (MaDeRe). „Physisch durchführen“ will die Leitung der Berlinale die Filmfestspiele im Februar 2021 – so ihr „großer Wunsch“. Physisch kann man bis dann wohl kein Kino kucken, außer zuhause im Kasten. Aber lokal in, um Berlin paar Locations in Augenschein nehmen, Settings am Set. Dabei zeigt sich:
Drehorte sind nicht unbedingt Seh-Orte. Was man später im Lichtspieltheater zu Gesicht bekommt – da wollte man früher nur ungerne mal vorbeischauen. Die Unterführung zum Messegelände, beispielsweise. Kids auf riesigen Flip-Flops mit ohrenbetäubender Aktion in grauer Betongruft. Und dann: Kacheln im Orange des Gummibaumzeitalters. Weg kucken und nix wie durch und ab nach oben. Aber vor dem Wandschmuck spielen die Szenen die jeder gut kennt, geben Regisseure sich die nun ehedem Kurbel in die Hand. Um in „The Bourne Supremacy“ den – Moskauer Flughafen ins beste Licht zu setzen. Um zu zeigen, wie es die Hanna in „Hanna“ den Anderen zeigt. Jennifer Lawrence und ihrer Truppe dient der Bau als trickreicher Tunnel zum Capitol in „The Hunger Games: Mockingjay – Part 2“. In „Atomic Blonde“ rast Charlize Theron im Auto bei wilder Knallerei durch die unterirdische Fußgängerzone. Und Shah Rukh Khan hat so viel Speed drauf, dass er bald darauf im Wald landet – Brandenburg bietet auch Diverses für Drehs.
Jene Brücke im tosenden Verkehr der Stadtautobahn am ex-ICC ist einer der Schauplätze welche vom „Himmel über Berlin“ blieben. Dann die Staatsbibliothek – auch noch der Kaisersaal und Frühstückssaal des einstigen „Esplanade“. Das Mauerterrain wurde hübsch aufbereitet und seines Schreckens entkleidet, die einstige Ödnis vom Potsdamer Platz wich einer anderen. Als Kinogänger sind wir in der rasant wandelnden Metropole schon froh, wenn sich uns ein Drehort offenbar erkenntlich zeigt. Wie beim „Sommer vorm Balkon“ sogar allerlei – aber keine Spielstätte mehr Original erhalten – am Eckhaus Raumer- / Dunckerstraße. Gegenüber echt am Helmholtzplatz gelegen: die Apotheke. Manchmal wird ein wenig angefügt: die Bank am Ufer der Rummelsburger Bucht in romantischer Erinnerung an die Hochzeitsszene aus „Die Legende von Paul und Paula“. Vor acht Jahren weggeräumt – kein Platz mehr für Nostalgiker? Aber ja, für die Geschichte von Paul und Paula, mit dem Auf und Ab, vorn und hinten, ihrer Lebenswelten. Adresse für Fanpost: Singerstraße 51 in Friedrichhain.
Es erfreut den Filmflaneur, wenn die Orte nah beieinander liegen. Sogar, wenn kein Kiez zu kieken ist und das Viertel so trist wie in „Victoria“. Ein Dreh ohne Schnitt. Der Kuss vor der Disko spielt vor dem Keller der „Dermo-Kosmetik“. Von Charlottenstraße 1 rasant rüber zur Friedrichstrasse. Der „Späti“ ist Nummer 32/33, die Fete läuft auf dem Dach von 226. Das Café gibt’s wirklich, „Wilhelm & Medné“ Ecke Hedemannstraße – aber Zimmerstraße 54 wäre kein Ziel für einen Banküberfall. Tragisch endet die Geschichte im noblen „Westin Grand“ welches unter Friedrichstraße 158 firmiert. Bestens alles Nachts entdecken – wie beim Take. In der Nacht bis Frühmorgens lebt „Herr Lehmann“ auf. In SO 36 machte das Kino den Kiez zum Kult. „Im Elefanten“ der Kneipe am Heinrichplatz heißt es: „erst austrinken!“ –
bevor der Einbruch in die heimelige Alternative von Frank bestaunt wird. Wrangelstraße, Sebastianstraße, der Döner am „Kotti“ – soviel hat der Mauerfall ja gar nicht verändert. Dennoch, einige Interieurs wurden im Studio nachgebaut.
Wer „Lola rennt“ kennt, kann den Ablauf fix in drei Routen abspulen. Würde als Rotschopf über die Oberbaumbrücke sprinten, im „Hotel de Rome“ einkehren als wär’s die Bank am Bebelplatz, den ex-Bolle in der Osnabrücker überfallen, in der Greifenhagener Straße eine klirrende Kollision mit dem Krankenwagen entgehen. Von der Albrechtstraße 13 -14 in Mitte wo Lola lebt läuft Lola los zum zweiten Einsatz. Regisseur Tom Tykwer, Leiter der „Berlinale“-Jury in 2018, dreht nach „Lola rennt“ 1998 mit „Drei“ 2010 wieder einen Film mit erkennbar vielen Berliner Schauplätzen. Am Kotti im „Burgermeister“ zur Currywurst, oder zum Bier auf der „Hoppetosse“, zum Schwimmen ins ex-„Winterbadeschiff“ nebenan, sommers im Prinzenbad. Die Altberliner Kneipe „Zum Schusterjungen“ Ecke Danziger- / Lychener Straße ist Kiez-Touristen bereits wohlbekannt. 100 Schauplätze – bleibende und flüchtige, so die ‚Öl-Bohrung’ im Mauerpark von Iepe Rubingh oder die „Körperwelten“ im Postbahnhof eines Gunther von Hagen. Und die Oberbaumbrücke, logo.
Berühmt wurde die Brücke durch den Unfall in „Unknown“ als das Taxi in die Spree stürzte, eine von vielen Drehorten in der winterlichen Großstadt. Berühmt und berüchtigt ist aber eine andere, die Glienicker Brücke an der Grenze von einst West nach Ost und nun von Berlin nach Brandenburg. Schon 1958 spielte sie eine Rolle bei „Mädchen in Uniform“ und zuletzt 2015 im Agententhriller „Bridge of Spies“, mit Regisseur Steven Spielberg, sowie Tom Hanks und Angela Merkel als Stars am Set. Wie Berlin hat auch Brandenburg zahllose Filmschauplätze, und dazu das Studio Babelsberg. Viele Dreh-Orte sind nach Jahren kaum noch zu erkennen. Ohnehin wirkten sie meist nur mit bei Außenaufnahmen, so wie die Wedekindstraße 21 im „Leben der Anderen“ als das observierte Objekt. Oder Oderberger Straße 43 in „Die fetten Jahre sind vorbei“ neben, Nomen est Omen, „Kauf dich glücklich“. Viel Glück beim Suchen! Leicht zu finden sind die Schauplätze der TV-Serie „Babylon Berlin“. Das Rote Rathaus stellt sein Inneres zur Schau als die „Rote Burg“ dem Polizeipräsidium am Alex in den wilden 20ern. Von der Dienststelle geht Gereon Rath gerne ins nächste Aschinger. Gibt’s schon lang nicht mehr, zum Dreh ging’s in den Ratskeller Schöneberg. Und die Bar „Moka Efti“ mit einem zugleich glamourösen wie dekadenten Ambiente wurde im 1929 eröffneten ex-Stummfilmkino Delphi in Weißensee eingerichtet. Als „Theater im Delphi“ in dem Filmvorführungen mit zum Programm gehören wird es in der Panikmanie hoffentlich nicht wie Babylon untergehen.