Nikolaiken, Masuren, Polen (MaDeRe). Die Kochküste von Tadeusz Swiderski – Rezepte der alten ostpreußischen Küche stehen obenan – sind allein schon ein Grund, um mit der „Classci Lady“ durch Masuren zu schippern. „Jak u baci – wie bei Oma“, betitelt er seine „einfache Kieche“, und erläutert wie zu jeder Mahlzeit ihre Zubereitung.
Für heute Abend hat der Meister ein Luciano-Pavarotti-Motto ausgewählt, das ihm aus der Seele spricht: „Kochen ist eine Kunst und keineswegs die unbedeutendste.“
Auftakt: Sauerampfersuppe und Fischsuppe; Vorspeise: Räucherfisch; Salatbüffet mit Sauerkohlsalat; Hauptgang: Wildgulasch mit Kartoffelklößen, Buchweizengrütze und Waldpilzen; Dessert: „Glumps“-(Quark-)torte; Seelenwärmer: Nikolaschka.
Vom Logenplatz an Bord kann man schließlich die abendliche Stimmung der Wald- und Wasserlandschaft genießen, auch das eine oder andere frisch gezapfte polnische Bier. Wozu in diesem Land auch ein „Wässerchen“, sprich: Wodka, gehört. Jedoch nicht ohne zuvor Reiseleiter Andrzejs Informationen für den nächsten Tag, Anekdoten und Witze aus Masuren vernommen zu haben. Höhepunkt ist sein „Abendgebet“: „Lieber Gott bestraf´ mich nicht, wenn ich bei Tisch das größte Stück erwisch!“
Land ohne Eile
Auf der Speisekarte – Motto: „Jede Frau ist für gutes Essen anfällig“ (Casanova) – stehen Tadeusz Gurken- und Ermländische Suppe; Vorspeise: Festtagssülze; Salatbüffet: Gurkensalat, Dill und Schmand; Hauptgang: Königsberger Klopse mit Kapernsauce und Salzkartoffeln; Dessert: Buttermilchflinsen mit Himbeersauce; Seelenwärmer: Rußer Milchpunsch. Jeder Gang weckt Kindheitserinnerungen und regt zu Rezeptaustausch an. Der Abend gehört den Tageserlebnissen, über die angeregt geredet und fröhlich gelacht wird. Eine vergnügte Schlemmer-Runde.
Immer mal wieder blitzen ein paar blaue Seen-Spiegel durch das Grün oder duckt sich das rote Ziegeldach eines alten, einsamen Gehöfts oder Gutes in einer Senke. Jeder Quadratmeter ist durchtränkt von Geschichte. Dieses „Land ohne Eile“, wie Arno Surminski seine verschlafene Heimat nannte, steckt aber auch voller skurriler Geschichten. Davon zeugen auch Siegfried Lenz Erzählungen „So zärtlich war Suleyken“.
Auf unzähligen Firsten thronen Storchennester. Den Spitznamen „preußischste aller Vögel“ haben sich die Tiere wegen ihres schwarz-weiß-roten Federkleids eingehandelt. „Jeder vierte Storch weltweit ist heute Pole“, erklärt Andrzej.
Nicht nur mit dem Mund
Mittagsmenü heute: Rote-Beete-Suppe, Zanderfilet mit Gumbinner Kartoffelbällchen und Frühlingsgemüse, abschließend Apfelcreme mit Weingelee. Martin Luthers Worte geben das Motto: „Iss, was gar ist! Trink, was klar ist! Red, was wahr ist!“ Recht hat er – bis heute!
Während der abwechslungsreichen Seh-Fahrt durch Kanäle und Seen unter hohen Wolkentürmen schwingt es mit, das Ostpreußen-Lied. Es besingt die „dunklen Wälder und kristallnen Seen“. „Einfach scheen!“, bringt es eine gebürtige Ostpreußin auf den emotionalen Punkt. Jetzt können sie nachempfinden, was damit gemeint ist.
Die Reisemotive sind im Übrigen sehr unterschiedlich. Von: „Wir wollten diese Reise immer schon mal machen“, „bin hier geboren“, „Eltern und Großeltern stammen von hier“, „mich interessiert nur die Landschaft“ bis „möchte Omas Küche wiederbeleben“ reicht die Palette.
Die Frischluft-Kur hat mächtig Appetit gemacht, und Nietzsche lieferte das (heute wieder moderne) Motto zum Abendessen: „Du musst nicht nur mit dem Munde, sondern auch mit dem Kopfe essen, damit dich nicht die Naschhaftigkeit des Mundes zugrunde richtet“. Dazu gibt es Linsensuppe mit Backpflaumen, gekochten Aal in Dillsauce, Mehlklöße mit saurer Soße, Mohnstriezel als Dessert – was will man mehr?!
Zum Schluss der Bärenfang
„Sieht aus wie ein echtes Aquarium“, meint Jürgen, als Tadeusz und Kapitän Tomasz – er diente mal bei der polnischen Marine – einen gläsernen Kasten hereinschleppen. Der ist gefüllt mit Fisch in Aspik. Des Weiteren werden aufgefahren: Lieblingssuppe, Pillkaller; Vorspeise: Stücke aus Pawels Aquarium; Salatbuffet: mit Sellerie-Apfel-Salat; Hauptgang: Schweinebraten, gefüllt mit Pflaumen, Speckklöße, und Teltower Rübchen; Dessert: Pfannkuchen mit Quark und Früchten; Seelenwärmer: Tadeuszs Trunk.
Kein Geringerer als Goethe lieferte dazu das Motto: „Das Essen soll zuerst das Auge erfreuen und dann den Magen“. Letzteren erfreut der „Bärenfang“ am Schluss. Andrzej kennt das Geheimnis des ostpreußischen Nationalgetränks: „Weil die Bären gern Honig klauten, hat man ihn mit Alkohol versetzt, so dass sie einschliefen und gefangen werden konnten“.
Zu guter Letzt ein Rezept
Tadeusz hat längst seinen Widerstand aufgegeben – gegen die Hartnäckigkeit der Hausfrauen unter den Gästen, ihnen seine Rezepte zu verraten. Denn jeder Chef hat so seine kleinen Küchengeheimnisse, die er nicht so gern preisgibt, meint er augenzwinkernd. Im Falle der „Masurischen Krautsuppe“ hat er sich schließlich nach dem locker stimmenden „Bärenfang“ erweichen lassen. Und er diktiert den Damen, aber auch einigen kochbegeisterten Herren, zum Mitschreiben: „Zutaten: 300 Gramm geräucherte Rippchen, ½ Kilo Sauerkraut, 2 Prisen Kümmel, 300 Gramm Kartoffeln, 1 Zwiebel, Salz, Pfeffer, 1 Esslöffel Schmalz.
Die Brühe aus Rauchfleisch und Gemüse kochen. Die Kartoffeln in kleine Würfel schneiden und der Brühe hinzugeben, langsam kochen lassen. Sobald die Zutaten weich sind, Sauerkraut und Kümmel dazugeben. Das Fleisch vom Knochen lösen und zur Suppe geben. Die Suppe mit Salz und Pfeffer verfeinern. Die Zwiebeln mit dem Schmalz anbraten und in die Suppe geben.
Smacznego – guten Appetit”, sind dann auch seine letzten offiziellen Worte dieser Reise ins Reich von Omas ostpreußischer Küche.
Anmerkung:
Mehr zu einer Reise mit der MS „Classic Lady“ in der Reportage Weiße Lady kreuzt einsam durch Masuren – Ergreifende Erlebnisse auf einem ungewöhnlichen ostpreußischen Schiffs-Rad-Törn von Dr. Peer Schmidt-Walther. Dazu sind Dutzende authentische Fotografien im Logbuch mit Bildunterschriften veröffentlicht worden.