Lublin, Polen (MaDeRe). Die beiden Renaissance-Städte Lublin und Zamosc im Osten Polens haben ihr historisches Erbe bewahrt. Prächtige Bauten zeugen von der früheren Bedeutung. „Entworfen“ wurde der Stadtkern von Zamosc vom Venezianer Bernardo Morand.

Die Stadt Lublin mit dem „Seiltänzer“ in schwindelerregenden Höhen. © Foto/ BU: Heidrun Lange, Ort und Datum der Aufnahme: Lublin, Juni 2024

Hoch über den Dächern von Lublin balanciert eine imposante Figur auf einem straff gespannten Seil zwischen zwei Gebäuden. Ihr Blick ist gen Himmel gerichtet. Die Figur regt sich keinen Millimeter von der Stelle, aber nicht weil sie nicht will, sondern weil sie nicht kann. Das Kunstwerk, ein Seiltänzer, wurde von einer talentierten Hand erschaffen. An diesem Ort sollte man einen Augenblick verweilen, innehalten und über die Bedeutung von Gleichgewicht und Harmonie im Leben nachdenken, so wie es der Künstler beabsichtigt hat. Einmal im Jahr erwacht der Seiltänzer zum Leben, wenn im Juli Akrobaten während des Zirkusfestivals Sztukmistrzów atemberaubende Kunststücke auf dem Seil vorführen. Da wird die Nacht zum Tag. Doch nicht nur dieses Event lockt Besucher nach Lublin. Wenn all der Trubel vorbei ist, lohnt es sich, die Stadt zu erkunden. In den engen Gassen der Altstadt fühlt es sich an wie in einem lebendigen Freilichtmuseum. Die prächtigen farbenfrohen Renaissance-Bauten bilden einen interessanten Kontrast zu den morbiden und verwitterten Fassaden. Die lebensgroßen Retro-Fotos in den Fenstern gewähren Einblicke in die Vergangenheit und das frühere Leben der Lubliner.

Wenn es Nacht wird in Lublin. © Foto/ BU: Heidrun Lange, Ort und Datum der Aufnahme: Lublin, Juni 2024
Lublin in Feierlaune. © Foto/ BU: Heidrun Lange, Ort und Datum der Aufnahme: Lublin, Juni 2024

Wer die Herausforderung annimmt, den Glockenturm des Jesuitenkollegs über 200 Stufen zu erklimmen, wird mit einem atemberaubenden Blick über den Altstädter Ring und die malerischen Dächer der Stadt belohnt. In der Ferne ragen die prächtige Basilika des Dominikanerklosters, die Johanneskathedrale und das Rathaus majestätisch empor. Von der mittelalterlichen Stadtmauer sind das Krakauer Tor, das Grodzka Tor und der gotische, halbrunde Turm bis heute erhalten geblieben. Lublin lädt auch zur stillen Rückschau ein. Das einst blühende jüdische Viertel wurde vor Jahren zerstört. Die jüdischen Familien wurden in das Ghetto in der Altstadt gezwungen, bevor sie den tragischen Weg in die Vernichtungslager antreten mussten. Eines dieser Lager, Majdanek am Rand von Lublin, ist heute eine Gedenkstätte. Der Direktor des Theater NN,Tomasz Pietrasiwicz, betont: “ Sie sind nicht vergessen. Auf thematischen Rundwegen und in Aktenordnern gibt es für jede Straße und jede Hausnummer zu den ehemaligen Bewohnern Informationen und Fotos.“

Julia im Restaurant Mandragora. © Foto/ BU: Heidrun Lange, Ort und Datum der Aufnahme: Lublin, Juni 2024

Lublin hat sich erfolgreich in die Gegenwart gerettet, wie viele Einheimische stolz feststellen, wenn sie auf ihre neu gestaltete Stadt zurückblicken, die von den originalgetreuen Restaurierungen der vergangenen Jahre geprägt ist. Auf dem Rynek, dem Marktplatz in der Altstadt, beleben gemütliche Cafés und Restaurants das Stadtbild. Besonders romantisch wird es in der Abenddämmerung, wenn Studenten durch die Altstadt schlendern und das gedämpfte Licht der Straßenlampen sowie der Bars und Restaurants eine warme Atmosphäre schaffen. Im jüdischen Restaurant „Mandragora“, benannt nach einer aphrodisierenden Pflanze, werden koschere Gerichte wie Ente, Leber und Gans serviert. Der Gastraum ist gemütlich eingerichtet, die Wände sind mit Holz verkleidet und es gibt ein volles Bücherregal. In den Fenstern stehen Menoras. Julia, die junge Kellnerin aus den Masuren, war bei ihrem ersten Besuch von der Stadt und ihrer Kultur fasziniert. Obwohl sie selbst keine jüdischen Wurzeln hat, hat sie sich intensiv mit den Bräuchen und der Geschichte der Juden auseinandergesetzt. Julia erzählt, dass alle Gerichte entsprechend den religiösen Vorschriften zubereitet werden. „ Eins kann ich ihnen versprechen,“ sagt die 25jährige Polin, „man schmeckt den Unterschied.“ Sie nimmt sich Zeit, um den Gästen die Besonderheiten der Speisen zu erklären.

Die Häuser der armenische Händler in Zamosc. © Foto/ BU: Heidrun Lange, Ort und Datum der Aufnahme: Lublin, Juni 2024

Ebenfalls eine bedeutende Renaissance-Stadt in der Wojewodschaft Lublin ist Zamosc. Einst ein bedeutendes Handelszentrum, zeigt sich die Stadt als verborgene Schönheit abseits der üblichen touristischen Routen zu den masurischen Seen oder der niederschlesischen Schlösserlandschaft. Der polnische Großkanzler Jan Zamoyski hatte die Vision, eine ideale Stadt zu erschaffen. Mit dem Vertrauen von König Stephan Bathory durfte er eine neue Siedlung zwischen Lublin und Lemberg gründen. Ende des 16. Jahrhunderts beauftragte Zamoyski den venezianischen Architekten Bernardo Morando mit der Planung des Stadtkerns. Morando orientierte sich an italienischen Vorbildern, was dazu führte, dass der Renaissance-Stil in Zamosc allgegenwärtig ist. „Die Stadt muss man erobern“, sagt Gästeführerin Julita Staszczuk und zeigt auf die Spitze des Rathauses. Punkt 12 Uhr bläst ein Trompeter die Fanfare, deren Klang über den Marktplatz bis weit in die Gassen schallt. Das Signal erspart den Blick auf die Uhr und ordnet seit jeher das Stadtleben. An den Stehcafés versammeln sich Erwachsene blicken nach oben zum Trompeter oder treffen sich zu einem Spaziergang. Fast alle Wege führen auf den Rynek Wielki, vorbei an lindgrünen, sienaroten, safrangelben und azurblauen Häusern mit bunten, kunstvoll verzierten Fassaden, die wieder im altem Glanz erstrahlen. Diese Gebäude waren einst Heimat vieler Händler, die sich im 16. Jahrhundert hier niederließen.

Von der Freitreppe des Rathauses gibt es freie Sicht auf den Marktplatz. Besonders an den Wochenenden herrscht reges Treiben an den Ständen, wo Händler und Marktfrauen knackiges Gemüse und Obst anbieten, so viel wie sie von ihrem Eigenbedarf abzweigen können. Etwas abseits der Straßen Richtung Warschau breitet sich Natur aus, dazwischen kleine Städte, die die Neugier wecken. Kazimierz Dolny war einst ein bedeutender Umschlagplatz für Getreide entlang der Weichsel. Die Burg Kazimierz, errichtet im 14. Jahrhundert, thront auf einer Anhöhe und bietet einen Blick auf die hügelige Weichsellandschaft und die kleine Stadt. Unterhalb der Burg befindet sich die Pfarrkirche, die nach einem Brand im Renaissance-Stil wiedererrichtet wurde. In der Kirche beeindruckt eine Orgel aus dem Jahr 1620 mit über tausendvierhundert Orgelpfeifen. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts haben Sommerfrischler und Künstler die Region für sich entdeckt. Die Maler finden reichlich Inspiration für ihre Kunstwerke, während sie an ihren Staffeleien sitzen und mit kleinen, kurzen Pinselstrichen die Häuser der Stadt und die Lösschluchten in der Umgebung festhalten.

Reisehinweise:

Veranstaltungen in diesem Sommer 2024 in Lublin: Carnaval Sztukmistrzów vom 25. bis 28. Juli 2024 und Jagiellonische Messe vom 23. bis 25. August 2024

Anreise: Nach Lublin geht es mit Flugzeug oder Bahn bis in die polnische Hauptstadt Warschau und dann weiter mit dem Zug bis zum Ziel. Für Autofahrer empfiehlt sich die Autobahn bis Warschau, dann weiter auf der Schnellstraße in Richtung Lublin.

Anmerkung:

Die Reise wurde vom Polnischen Fremdenverkehrsamt in Berlin unterstützt.

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